“Welcome back, Sozialismus?” Vom öffentlichen Diskurs und Begründungsmustern um die Enteignungsforderungen von Wohnraum
Part IV of the blog-series “Urban property conflicts in Europe, East and West: A blog series on local struggles for self-governance”
Im September des Jahres 2021 wurde in Berlin ein Volksentscheid der Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen zur Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne mit einem überraschend klaren Ergebnis von 59,1 % angenommen. Die Berliner Regierung wurde durch diesen Entscheid dazu beauftragt, Unternehmen mit einem Bestand von mehr als 3.000 Wohnungen aus privater in öffentliche Hand zu überführen. Zwar ist das Ergebnis des Beschlussvolksentscheids nicht rechtlich bindend, allerdings hat es bis heute ein hohes Maß an politischer Sprengkraft. Denn durch den Volksentscheid wird ein Grundpfeiler des liberalen Wirtschaftssystems hinterfragt, welches soziale Beziehungen maßgeblich strukturiert: das Privateigentum. Stattdessen wird ein Gemeineigentum an den betroffenen Wohneinheiten gefordert. Die Aushandlung dieser geforderten Eigentumstransformation findet dabei nicht nur durch Vergesellschaftungsinitiativen und Parteipolitik statt, sondern wird auch von einer breiten medialen Öffentlichkeit begleitet. Im folgenden Beitrag werden wir die öffentliche Aushandlung der Forderungen in der deutschen Presse näher betrachten und dabei populäre Begründungsmuster für und gegen Vergesellschaftung von Wohnraum skizzieren.
Initiativen zur Vergesellschaftung von Wohnraum
Der Erfolg der Berliner Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen hat mittlerweile auch Hamburg erfasst. Im März 2023 konnte im ersten Schritt eines Volksbegehrens der Initiative Hamburg enteignet bereits die notwendige Unterschriftenanzahl erreicht werden. Angesichts der seit Jahren in deutschen Großstädten grassierenden Mietenproblematik sind solche zivilgesellschaftlichen Bestrebungen keine Überraschung. 2018 sahen sich fast 50 % aller großstädtischen Haushalte einer Mietenbelastung von mehr als 30 % ihres Nettoeinkommens konfrontiert, wobei sich der Prozentsatz hiervon betroffener Personen im Vergleich zu 2014 um ca. 10 % erhöht hat. Insbesondere in Berlin verschärft sich die Situation zunehmend. So sind von 2011 bis 2022 die Angebotsmieten um 80 % gestiegen während die Nominallöhne lediglich um 36,5 % zunahmen. Sich eine Mietwohnung als Teil der eigenen Daseinsvorsorge leisten zu können ist damit für immer mehr Menschen in Deutschland mit Unsicherheiten behaftet.
Die Vergesellschaftungsinitiativen sind vor dem Hintergrund einer langen Tradition wohnungspolitischer sozialer Bewegungen in Deutschland zu betrachten, welche bereits seit dem 19. Jh. in unterschiedlicher Form schlechte Wohnverhältnisse und hohe Wohnkosten adressieren. Diese Bewegungen lassen sich, um nur wenige Beispiele zu nennen, vor den Hintergründen von Henri Léfebvres Konzept eines Rechts auf Stadt oder den Analysen Andrej Holms zum Doppelcharakter von Wohnraum als Finanzanlage und Gebrauchsgegenstand gut einordnen, gerade was die Motivation der Initiativen angeht. Angesichts der zunehmenden Finanzialisierung von Wohnraum sind es insbesondere größere Wohnungsunternehmen, die systematische Profitmaximierung zugunsten der Anteilseigner:innen betreiben – in aller Regel zu Lasten der Mieter:innen. Die Vorhaben zur Vergesellschaftung großer Wohnungskonzerne lassen sich demnach auch als organisierte Zusammenschlüsse von Mieter:innen verstehen, welche die marktbasierte und durch Privateigentum organisierte Vermittlung von Wohnraum problematisieren.
Wenngleich das Fortbestehen mietenpolitischer Bewegungen, zu denen auch die neuen Vergesellschaftungsinitiativen zählen, vor dem Hintergrund der andauernden Wohnungsfrage also nicht überraschen, ist es der Erfolg des Berliner Volksentscheids aber durchaus. Denn mit der Forderung der Vergesellschaftung soll mit dem Artikel 15 des Grundgesetzes ein Mittel eingesetzt werden, das bisher in der Geschichte der Bundesrepublik noch keinerlei Anwendung fand. Dem Artikel 15 nach kann im Interesse der Allgemeinheit Grund und Boden, Naturschätze und Produktionsmittel in Gemeineigentum überführt werden. Dieses Interesse der Allgemeinheit ist naturgemäß umstritten, wie auch im medialen Diskurs ersichtlich wird. Hervorzuheben ist an dieser Stelle aber zunächst das Vorgehen der Vergesellschaftungsinitiativen. Sie bedienen sich vorhandener rechtlicher und demokratischer Mittel, um ihre Ziele durchzusetzen. Die Bewegung setzt sich dabei primär aus Mieter:innen zusammen, die als Graswurzelbewegung ihre Interessen in der politischen Arena vorbringen - und das bisher mit großem Erfolg. Blickt man auf den politischen Einfluss der Bau- und Immobilienindustrie ergibt sich ein Bild, das diesen Erfolg eigentlich als unwahrscheinlich gelten lassen sollte. Oftmals werden gegen die Initiativen und deren Konzept der Vergesellschaftung von Wohnungskonzernen marktliberale Begründungsmuster angeführt, die öffentlichkeitswirksame Verbreitung und bei Entscheidungsträger:innen oftmals großen Anklang finden.
Insofern ist es also durchaus lohnenswert zu betrachten, welche thematischen Schwerpunkte in der öffentlichen Debatte tatsächlich auftreten, inwiefern sich die Begründungen für oder gegen die Vergesellschaftung als wiederkehrende Muster ausbilden und welche Argumentationsbasis hierfür herangezogen wird. Hiermit lassen sich auch vorsichtige Rückschlüsse darauf ziehen, wie Eigentumstransformationen medial begegnet werden, insbesondere für den Fall, dass es sich bei den geforderten Verschiebungen um Güter handelt, die der Daseinsvorsorge zugeordnet werden. Diese Aushandlung findet zentral – wenngleich nicht exklusiv – in der medialen Öffentlichkeit statt, die in Demokratien eine zentrale Sphäre der gesellschaftlichen Kommunikation darstellt. Denn sie begleitet die Auseinandersetzungen um die Vergesellschaftung und beeinflusst die öffentliche Meinung zum Vorhaben. Da es sich bei der Vergesellschaftung um die Überführung von Privat- hin zu Gemeineigentum handelt, untersuchen wir die mediale Öffentlichkeit anhand von Presseartikeln mit einem besonderen Fokus auf diesen Eigentumsaspekt. Diese Ergebnisse sind innerhalb einer studentischen Forschungsgruppe entstanden, welche im Rahmen der Exzellenzinitiative der Universität Hamburg gefördert wird.
Ökonomisch, politisch, rechtlich: Zentrale Begründungsmuster und ihre Akteur:innen
Die Begründungsmuster in der medialen Auseinandersetzung um die Vergesellschaftung von Wohnraum betreffen drei thematische Schwerpunkte sowie eine übergreifende Ebene, welche beteiligte Akteure sowie deren Rolle bei der Vergesellschaftung benennt. Thematisch lassen sich ökonomische, politische und rechtliche Argumente der Für- und Gegensprache erkennen. Die Ebene, die auf Akteur:innen verweist, beleuchtet die aktive Rolle der im Mietmarkt beteiligten Parteien, Kommissionen, Verbände und Initiativen bei der Ausgestaltung bzw. der Verhinderung der Vergesellschaftungsvorhaben. Als empirisches Material für diese Ergebnisse dienten uns 23 mittels Grounded Theory ausgewertete Artikel verschiedener großer Deutscher Tages- und Wochenzeitungen. Zudem haben wir durch ein Topic Modelling festgestellt, welche Diskursthemen besonders häufig medial verhandelt wurden.
Betrachten wir beispielsweise die politische Ebene der Begründungsmuster. Hier werden Argumente hervorgebracht, welche Verantwortlichkeiten für die Ursache der Wohnungskrise politisch verorten und damit fürsprechend die Politik mit der Lösung dieses Problems beauftragen. Der Berliner Senat hat beispielsweise in den 90er Jahren mit Blick auf die Konsolidierung des Länderhaushalts in großen Mengen den städtischen Wohnungsbestand privatisiert. Dieser Punkt wird seitens der Aktivist:innen im Diskurs um Vergesellschaftung als politische Verfehlung gerahmt: Die Privatisierung gab städtisch verwalteten Wohnraum für den Markt frei, womit ein Hebel der Mietpreisgestaltung als kommunales Unterfangen aus der Hand gegeben wurde. Zusammen mit dem Debakel um den Berliner Mietendeckel gelte das Ergebnis somit als „ein vernichtendes Urteil für die bisherige Berliner Wohnungspolitik” (Zeit), die das Wohnungsproblem bis dato nicht wirksam adressierte. So wird nun dieselbe Berliner Landesregierung aus der Zivilgesellschaft heraus damit beauftragt, durch eine Vergesellschaftung auf die andauernden Probleme zu reagieren.
Auf der rechtlichen Ebene wird aufgrund des bisherigen nicht-Anwendung von Artikel 15 vornehmlich die Verfassungsmäßigkeit diskutiert. Entweder wird die Vergesellschaftung von Wohnraum hier als „unverhältnismäßig und verfassungswidrig” (Berliner Zeitung) dargestellt, oder es wird betont, dass die Forderung durch das „Grundgesetz gedeckt, mit der Landesverfassung vereinbar” (ebd.) und damit grundsätzlich möglich ist. Die Kommission, die in Berlin zur Klärung dieser Fragen eingesetzt wurde, kam im Juni 2028 zu einem positiven Ergebnis für die Verfassungsmäßigkeit der Forderung.
Neben diesen rechtlichen Fragen werden ebenso ökonomische Aspekte angesprochen. Zusammen mit der Ebene der Akteur:innen bildet die Diskussion um die Signalwirkung auf Investor:innen einen eigenen Teilaspekt der Debatte. So würde das häufig bemühte „Damoklesschwert” (Berliner Zeitung) der Vergesellschaftung dazu beitragen, dass eine wirtschaftliche Verunsicherung entstehen würde, welche für die Investitionsumgebung in Deutschland nachteilig sei. Aufgrund der geringen Investitionssicherheit würde zudem der Wohnnungsneubau verhindert. Die Investor:innen werden in dieser Begründung gegen die Vergesellschaftung als eine wichtige Stütze des Wohnungsmarktes porträtiert. Andererseits werden aus Mieter:innenperspektive eben diese Investor:innen als ein ursächliches Problem dargestellt, welches die Vergesellschaftung erst notwendig werden lässt. Aufgrund der Finanzmarktorientierung großer Wohnungskonzerne seien diese darauf ausgelegt, Wohnungen als Renditeobjekt zu betrachten und wären deswegen Preistreiber bei den Mietpreisen. Neben vielen anderen Beispielen illustrieren diese Standpunkte, dass die jeweilige Rahmung des Problems die argumentative Grundlage maßgeblich beeinflusst.
Zurück zum Sozialismus oder bauen, bauen, bauen?
Naturgemäß geht es innerhalb der medialen Auseinandersetzung, und gerade bei einem so kontrovers diskutierten Thema, nicht immer sachlich zu – insbesondere, wenn diverse Akteur:innen dabei zu Wort kommen, deren Interessen sich diametral entgegenstehen. Am Wohnungsmarkt spitzt sich ein gesellschaftliches Problem anhand der Eigentumslinie, also zwischen Vermietenden und Mietenden zu, welches sich in den Forderungen der Initiativen und der Gegenrede aus Politik und Wirtschaft widerspiegelt. An diesem Gegensatz lässt sich von der medialen Auseinandersetzung also auch auf den zugrunde liegenden Eigentumsaspekt schließen.
Eigentum, so bereits seit Jahrzehnten bekannt und zunehmend verstanden, ist keine einfache Beziehung zwischen Mensch und Objekt, sondern ein soziales Verhältnis, welches gesellschaftliche Beziehungen durch rechtlich abgesicherten Ein- und Ausschluss strukturiert. Dabei kann in verschiedene Eigentumsregime idealtypisch unterschieden werden: Individual-, Gemein-, Staats- und Open-Source Eigentum. Es handelt sich hierbei um kollektive Einschätzungen darüber, wie sich das benannte soziale Eigentumsverhältnis sinnvollerweise rechtlich und praktisch durchsetzen lässt. Der rechtliche Zugang von Personen an entsprechenden Gütern nimmt bei diesen in aufsteigender Reihenfolge zu: In Individualregimen wird in der Praxis eine Konzentration und Verwaltung durch meist ein bis zwei Personen oder Organisationen umgesetzt, bei Gemeineigentum durch Gruppen, während Staatseigentum oftmals eine öffentliche Nutzung entsprechender Güter erlaubt. Open Source Eigentum ist genau genommen nicht mehr länger als eine Eigentumsordnung zu verstehen, da hier keinerlei Rechte hinsichtlich des Zugangs und Ausschlusses vorliegen. Diese Property Regimes bestehen je nach Gut innerhalb einer Gesellschaft nebeneinander, können sich im Laufe der Zeit wandeln (bspw. bei Privatisierungen oder Enteignungen) und werden entsprechend politisch, ökonomisch und rechtlich abgesichert.
In der Debatte um die Vergesellschaftung von großen Wohnungskonzernen wird nun unserer Ansicht nach für eine Verschiebung vom marktwirtschaftlichen Individual Property Regime hin zu einer gruppenbezogenen Verwaltung durch ein Common Property Regime argumentiert. Ersteres steht dabei auch für eine stärker profitorienterte und individualisierte Verwaltung von Eigentum, letzteres dagegen erlaubt die gemeinschaftliche Verwaltung von Eigentum durch bestimmte Gruppen ohne die explizite Ausrichtung auf Profit des Einzelnen. Stattdessen steht stärker die Erhöhung des Gemeinwohls der dahinterstehenden Gruppe im Vordergrund – in diesem Fall das Gemeinwohl der Mietenden.
Aus diesen Property Regimes heraus speist sich die zugrundeliegende Logik der Begründungen in Für- und Gegensprache, die sich durch ihr wiederkehrendes Auftreten als Muster darstellen. Wird „ein Frontalangriff auf unsere Wirtschaftsordnung” (Berliner Zeitung) erklärt, wird gleichzeitig für den Erhalt von Wohnungsbeständen als Individualeigentum argumentiert, da dieses gegenüber dem Gemeineigentum als effizienter befunden wird. Kritisieren Mieter:innen, dass Investor:innen die Preise der Mieten antreiben, geht es hier jedoch nicht länger um die effiziente und profitable Verwaltung von Wohnungseinheiten, sondern um ein eigenes „Zuhause”, welches „unmittelbar die Gestaltung des eigenen Lebens” (Tagesspiegel) betrifft und seiner Renditefunktion gegenüber steht. Die Verwaltung als Gemeineigentum im Sinne eines Common Property Regime könnte den Ansprüchen von Mieter:innen hier deutlich eher gerecht werden.
Diese diskursiven Aushandlungen werden medial begleitet, die Lager nehmen dabei sowohl Bezug aufeinander als auch auf sich selbst. Stimmen, welche wir dem Individual Property Regime zuordnen, versuchen die Initiativen und ihre Forderungen mit Sozialismusvergleichen (die sicherlich mit einer negativen Konnotation des Realsozialismus i.S. der DDR und der Sowjetunion einhergehen) zu delegitimieren und fragen provokant „Welcome back, Sozialismus?” (B.Z.). Stattdessen wird als einzig wirksamer Ansatz der Wohnungskrise das vielfach postulierte „bauen, bauen, bauen” (Bild) neuer Wohnungen vorgeschlagen. Der Marktmechanismus müsste dann durch die Erhöhung des Wohnungsangebots theoretisch für eine Entspannung der Mietpreise sorgen. Dass dieser besagte Mechanismus jedoch nicht befriedigend funktioniert, ist für die Initiativen bereits seit Jahren offensichtlich - weswegen die Vergesellschaftung Wohnungsbestände dem Markt entziehen soll.
Die Umsetzung des Volksentscheids in Berlin bleibt vorerst weiter Schauplatz einer politischen und medialen Auseinandersetzung. Anhand der Forderung der Vergesellschaftung von Wohnraum wird dabei die institutionalisierte gesellschaftliche Beziehung „Eigentum” neu verhandelt. Hierzu werden politische, ökonomische und juristische Argumente hervorgebracht, die eine Eigentumstransformation befürworten oder ablehnen und auf zugrundeliegende Property Regimes des Common bzw. Individual verweisen. Die Erhöhung des Gemeinwohls in Form einer Abmilderung des Wohnungsproblems ist dabei zentraler Bezugspunkt der Begründungen für das geforderte Gemeineigentum an Wohnraum sowie auch der Gegner:innen. Während die einen nur in der Abkehr vom Markt eine langfristige Lösung erkennen, verfechten die anderen weiterhin marktbasierte Lösungen wie Neubau zur Entspannung des Wohnungsmarktes. Zwar scheint beispielsweise die Berliner Landesregierung seit Beginn den Volksentscheid zu verschleppen, doch mit dem neuen Anlauf eines rechtlich bindenden Gesetzesvolksentscheids durch die Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen bleibt die künftige politische Aushandlung nicht alleine dem Berliner Senat überlassen – was auch weiterhin deutschlandweit für große mediale Aufmerksamkeit und Diskussionen sorgen dürfte. Das „Gespenst der Enteignung“ (taz) geht jedenfalls um – und es ist durchaus umtriebig.