13. Juni 2022

Institutionelle Vermieter und der Streit um das Wohnen

Autor*innen: Lukas Lachenicht, Daniel Kunze

In Berlin lässt sich momentan beobachten, wie Wohnraum auf eine neue Weise in die Logiken und Strukturen der Finanzmärkte eingebunden wird. Neben der „klassischen“ Spekulation mit Boden und Wohnraum zeichnet sich zunehmend ab, wie Mietwohnraum als eine auf Dauer gestellte Anlageklasse erschlossen wird. Diese Entwicklungen weisen eine Verschränkung mit breiteren strukturellen Veränderungen auf den Finanzmärkten auf, die bisher jedoch wenig Niederschlag in der öffentlichen Debatte gefunden hat.

In fast allen europäischen Metropolen sind die Preise für Wohnraum in den letzten Jahren massiv gestiegen. Ein besonders drastisches Beispiel gibt dabei der Wohnungsmarkt in Berlin ab, wo die Neubaumieten zwischen 2010 und 2019 um 51,2 % und die Bestandsmieten gar um 64,2 % stiegen (Hahn et al. 2021). Die damit einhergehenden finanziellen Belastungen sind für viele Mieter:innen untragbar geworden und sorgen für sozialen Protest.

Nicht zuletzt der erfolgreiche Ausgang des von der Initiative Deutsche Wohnen & Co. enteignen initiierten Volksentscheids zur Vergesellschaftung der größten im Land Berlin tätigen Wohnungskonzerne bescherte dem Berliner Wohnungsmarkt erneut eine breite internationale Aufmerksamkeit.

Selbst Vertreter:innen der Immobilienbranche äußerten angesichts der verschärften Lage auf dem Berliner Wohnungsmarkt Verständnis für den Unmut und betonten, an „konstruktiven“ Lösungen interessiert zu sein. Damit docken sie nahtlos an die im öffentlichen Diskurs dominierenden Erklärungsmuster an, die vor allem eine gesteigerte Nachfrage nach urbanem Wohnraum bei gleichzeitiger Wohnungsknappheit als Ursache für die Preisentwicklung ausmachen und daher Neubau als einzig denkbare Lösung ausweisen.

Doch entgegen allen Dafürhaltens von Seiten der alten wie der neuen Landesregierung, scheint diese marktbasierte Erklärung nicht mehr zu verfangen. Vielmehr sind es – wie es der Titel der Kampagne nahelegt – eben jene großen Wohnungskonzerne wie Deutsche Wohnen und ihre Geschäftspraktiken, die als Teil des Problems aufgefasst werden und dementsprechend mit dem Volksentscheid explizit adressiert wurden.

Lauscht man den Berliner:innen, wird häufig eine andere Ursache für die frappierende Preisentwicklung der letzten zehn Jahre genannt: die Spekulation mit Wohnraum.  So selbstverständlich diese Antwort mitunter daherkommt, drängt sich doch die Frage auf, was genau damit eigentlich gemeint ist.

Ein Alltagsverständnis von Spekulation dürfte darin bestehen, ein bestimmtes Gut einzig zum Zwecke des teureren Wiederverkaufs zu erwerben – losgelöst von einer tatsächlichen Nutzung oder Bedürfnisbefriedigung. Im Alltagsgebrauch impliziert die Rede von Spekulation allerdings oft auch einen moralischen Vorwurf, der auf die „leistungslose“ Realisierung eines Gewinns abzielt, bei der die Spekulant:in nicht nur von einer mindestens konstanten Nachfrage profitiert, sondern darüber hinaus die Preisentwicklung des betreffenden Guts „weiter anheizt“.

Als besonders drastisch erweisen sich die Folgen, wenn mit existenziellen Bedürfnissen wie Wohnraum spekuliert wird. Und es ist womöglich genau diese affektive und existenzielle Bedeutung von Wohnraum, die so deutlich hinter den Gewinnabsichten einzelner Spekulant:innen verschwindet, welche Spekulation als derart problematisch erscheinen lässt – und mitunter für die Rückführung abstrakter Dynamiken auf konkret benennbare Praktiken sorgt.

So war es nicht zuletzt die Spekulation auf stetig steigende Hauspreise, welche als wesentlicher Treiber der amerikanischen Immobilienblase im Vorfeld der „Subprime-Krise“ ausgemacht wurde – der man in Deutschland jedoch durch die konservative Hypothekenvergabe vermeintlich keinen Boden bereitet hatte. Wie sich jedoch zeigen sollte, stellt allen voran Berlin vom Beginn der 2000er Jahre bis in die Gegenwart ein unterbeleuchtetes Beispiel für die zuweilen spekulative Verwertung von Wohnraum dar – aber von Anfang an:

Die beginnende Finanzialisierung des deutschen Mietwohnungsmarktes – „Spekulation in Reinform“

Unter dem Eindruck der Erfahrungen in den USA oder Spanien fokussierte sich die öffentliche Aufmerksamkeit im Nachgang der Finanzkrise auf die Ausweitung der Hypothekenschuld. In der Tat schien es, neben der geringen Immobilienpreisentwicklung bis 2010 in Deutschland, keine Anhaltspunkte für eine vergleichbare Einbindung des Wohnraums in die Logiken und Strukturen der Finanzmärkte zu geben.

Doch entgegen dieser geläufigen Einschätzung wurde man rückblickend gewahr, dass Deutschland durchaus von einer derartigen Finanzialisierungsdynamik erfasst wurde, welche sich allerdings nicht auf die Vergabe von Hypothekenkrediten, sondern auf den Mietsektor konzentrierte.

Diese unfreiwillige Erfahrung mussten insbesondere viele Berliner:innen Anfang der 2000er Jahre machen, nachdem große Bestände öffentlicher Wohnungen an Private-Equity-Gesellschaften (PEG) verkauft wurden, um öffentliche Schulden abzubauen (Heeg 2013).

Im Bemühen um eine rasche Haushaltskonsolidierung wurden in Deutschland zwischen 1999 und 2006 mehr als 500.000 Sozialwohnungen privatisiert, wobei oftmals mehr als 800 Wohnungen auf einmal „en-bloc“ veräußert wurden.

Die sozialwissenschaftliche Literatur nennt das mittlerweile „Finanzialisierung 1.0“. Diese zeichnete sich dadurch aus, dass große Investor:innen wie PEGs oder Hedgefunds getreu der Maxime „buy low, sell high“ im großen Stil Häuser und Wohnungen aufkauften mit der Absicht, diese bereits nach kurzer Zeit wieder zu verkaufen (Wijburg et al. 2018). Sie benennen dieses Prinzip als „speculation in its purest form“. Entsprechend zeichnete sich die Investitionsstrategie durch einen kurzen Anlagefokus sowie der Senkung von Instandhaltungskosten und den Aufschub von Sanierungsmaßnahmen aus. Aufwendige Sanierungen wurden allenfalls in vielversprechenden Altbauquartieren innerhalb des Berliner S-Bahn-Rings getätigt.

Senkung der laufenden Instandhaltungskosten, Sanierungsaufschub bei gleichzeitiger Mieterhöhung und allgegenwärtige Schikane von Mieter:innen? Das klingt nicht allzu verschieden von dem, worum sich die Debatte im Vorfeld des Berliner Volksentscheids drehte.

Wie es scheint, sind auf Seiten der betroffenen Mieter:innen zunächst keine entscheidenden Unterschiede innerhalb der Geschäftsmodelle erfahrbar, abgesehen vielleicht von einer intensivierten Luxussanierung und damit einhergehend der Zunahme von gezielter Entmietung. Und so verwundert es auch nicht, dass die gegenwärtige Kritik an den größten börsennotierten Wohnungskonzernen, wie sie auch im Rahmen der Kampagne von Deutsche Wohnen & Co. enteignen zum Ausdruck kommt, naheliegenderweise genau jenes Geschäftsmodell adressiert.

Allerdings kam jenes zuvor unter dem Banner Finanzialisierung 1.0 beschriebene Geschäftsmodell bereits nach der globalen Finanzkrise 2008 an seine Grenzen, da der entscheidende Zugang zu Fremdkapital so schwierig wurde, dass die meisten PEGs und Hedgefonds gezwungen waren, ihre Immobilienportfolios aufzugeben (Metzger 2020).

Dies läutete zugleich den Aufstieg großer Wohnungskonzerne wie Vonovia und Deutsche Wohnen ein, die seither ihren Wohnungsbestand vielmehr beständig erweitern und den Verkauf von Immobilien lediglich zur weiteren Optimierung ihres jeweiligen Portfolios oder eben zur Fusion betreiben und angesichts derer von „Finanzialisierung 2.0“ gesprochen wird.

Damit ist keineswegs gesagt, dass nicht weiterhin spekulative Tendenzen am Berliner Wohnungsmarkt zu beobachten wären – insbesondere so lange, wie eine verheißungsvolle „Mietpreislücke“ (Christophers 2021) fortbesteht und auch die bisher unternommen politischen Schritte der Bodenspekulation wenig entgegenzusetzen wussten. Doch gerade die von der Initiative Deutsche Wohnen & Co enteignen adressierten großen und insbesondere börsennotierten Wohnungskonzerne weisen eine veränderte Investitionsstrategie auf, die sich durch einen langfristigen Anlagefokus auszeichnet und zur Erzielung einer Dividende für ihre Aktionär:innen im Wesentlichen auf kontinuierliche Mieteinnahmen setzt.

Ein sich aufdrängender Einwand besteht natürlich darin, dass auch diese Strategie spekulative Züge aufweist. Ohne deshalb die Kritik an Spekulation an dieser Stelle zurückzuweisen zu wollen, lässt sich womöglich dennoch konstatieren, dass diese sich deutlich von der oben beschriebenen „Reinform der Spekulation“ unterscheidet, als dass die erworbenen Wohnungsbestände zunehmend als langfristige finanzielle Anlageobjekte behandelt werden. Wohlgemerkt weist der zu verzeichnende steigende Umschlag an Wohnimmobilien nicht in die entgegengesetzte Richtung und ist nicht zuletzt auf Fusionen und zunehmende Konzentrationsprozesse zurückzuführen (Gabor/Kohl 2022), denen in diesem Geschäftsmodell eine entscheidende Rolle zukommt. Zugleich korrespondieren diese Verschiebungen mit einer sich verändernden Eigentümer:innenstruktur. Um es auf den Punkt zu bringen: Es scheint vielmehr so, als hätten wir es mit veränderten finanziellen Logiken und Strukturen zu tun, die sich in den politischen Debatten noch nicht wiederfinden.

Die Kritik an Finanzialisierung ist mehr als Spekulationskritik

Um zu verdeutlichen, was die Weitung des Blicks an dieser Stelle bedeuten könnte, seien dazu einige Überlegungen umrissen, welche die neue Eigentümerstruktur betreffen.

Wohnraum war zwar schon immer in eine finanzielle Ökologie verwoben und klassischerweise ein Anlagegut, doch was mit der gegenwärtigen Form der Finanzialisierung von Wohnraum einhergeht, scheint wie gesehen weder als „bloßes“ Spekulationsobjekt noch allein als „sicherer Hafen oder Betongold“ in unsicheren Zeiten angemessen erfasst zu werden.

Die Art und Weise, wie Wohnraum gegenwärtig in entscheidendem Maße Anlagegut und Einkommensquelle geworden ist, birgt über den Aufstieg neuer Intermediäre – d.h. nicht allein börsennotierter Wohnungskonzerne, sondern allen voran der dort als Aktionär:innen beteiligten Asset-Manager und Pensionsfonds – schließlich doch andere Logiken und zeitigt weitreichende Effekte.

Eine so informierte Perspektive sollte daher die Entwicklungen auf dem Berliner Wohnungsmarkt einerseits im breiteren Kontext des Aufstiegs jener Vermögensverwalter:innen verorten, sowie andererseits die konkreten Auswirkungen der sich wandelnden Eigentumsstruktur in den Blick nehmen, wie sie sich beispielsweise entlang des dauerhaften Abschöpfens von Mietzahlungen, die so der lokalen Zirkulation (weitestgehend) entzogen werden, verdeutlichen ließen.

Dabei ist trotz oder gerade wegen der zunehmenden Einbindung immer weiterer Bevölkerungsschichten in die Finanzmärkte über kapitalmarktmarktbasierte Altersvorsorge und den Vermögensaufbau über diverse Fonds wie ETFs etc. jedoch zu unterstreichen, dass nicht jede:r bloß in letzter Instanz ihre eigene Vermieter:in ist – wie es etwa umgekehrt gerne an Kritiker:innen jener auf dem Wohnungsmarkt agierenden institutionellen Investor:innen zurückgespielt wird („Wir die Miethaie“).

Dies hieße schlichtweg außer Acht zu lassen, dass die betreffenden Anteile und Einkünfte durchaus ungleich verteilt sind. Richtig ist jedoch, dass Pensionsfonds und Vermögensverwalter eine treibende Kraft auf der Suche nach neuen „sicheren“ Anlagemöglichkeiten sind (Braun 2022), im Zuge derer Mietwohnraum gerade erst im Begriff zu sein scheint, umfänglich als neue Anlageklasse erschlossen zu werden.

Eine bemerkenswerte Artikelserie des europäischen Journalist:innenkollektivs Cities for Rent spricht deshalb von Berlin als einem „Labor“:

„Berlin mit seinen Wohnungskonzernen, gescheitertem Deckel und dem wütenden Volksbegehren ist kein Relikt, sondern ein erster Vorgeschmack auf das, was kommt: ein europäischer Wohnungsmarkt, eine europäische Wohnungskrise – weitreichend verknüpft mit dem Finanzmarkt. Berlin ist das Labor dafür.“

Prozesse wie die hier beschriebene Finanzialisierung von Mietwohnraum erscheinen so zugleich als Ausdruck und Katalysator einer steigenden sozialen Ungleichheit, die ihre Absicherung in der Einbindung stetig größerer Bevölkerungsanteile in die Finanzwirtschaft findet.