24. September 2025

Umkämpfte Systemrelevanz: Zur Aneignung von Infrastrukturen in der Dauerkrise

Autor*in: Oliver Prausmüller

Dass es nahezu jederzeit kippen kann: Die Warnung vor Bedrohungslagen ist in diesen krisengeschüttelten Zeiten allgegenwärtig. Die Dauerkrise zeichnet sich – wie vielerorts festgehalten – durch ihren „multiplen" und „zangenhaften" Charakter aus. Im Zentrum dieser Gemengelage aus COVID-19, Klimakrise, Krieg, Wirtschaftseinbruch, geoökonomische Rivalitäten, Energieschocks, u.v.m. befinden sich Infrastrukturen. Daraus resultieren hohe Erwartungen an ihre Rolle als gesellschaftlicher Stabilitätsanker und Krisenpuffer. Denn Infrastrukturen gelten weithin als „Lebensadern“, die Gesellschaft, Wirtschaft und Politik verbinden und am Laufen halten. Doch die gegenwärtigen Dynamik drängt umso mehr die Frage in den Vordergrund: Was geschieht, wenn sie ins Stocken geraten?

Die entgrenzte Dynamik der Dauerkrise hat in unterschiedlichsten Bereichen Diskussionen über erhöhte Verwundbarkeit und fehlende Widerstandsfähigkeit entfacht. Damit haben sich nicht nur die Erwartungen, sondern auch die Sorgen darüber erhöht, wie Infrastrukturen (über)lebensnotwendige gesellschaftliche Abläufe sicherstellen können. So warnten überlastete Arbeitskräfte in der Pandemie vor fehlenden Kapazitäten und einer „Triage“ in der auf Notbetrieb laufenden Gesundheitsinfrastruktur. Erst dieses Frühjahr haben die Stromausfälle in Spanien und Portugal neuerlich die Möglichkeit von Blackouts in der Energieversorgung ins öffentliche Bewusstein gerückt. Auch die aktuellen klima- und geopolitischen Verwerfungen lassen sich immer weniger ausblenden: Versorgungssysteme stehen durch fossile Energieabhängigkeiten, Extremwettereignisse und steigende Lebenserhaltungskosten unter Druck. Damit steigt der Bedarf nach einer sozial-ökologischen Infrastrukturpolitik. Doch diese stößt auf gravierende Transformationsblockaden. So macht gerade auch der aktuelle Vormarsch von fossil-autoritären Kräften in der EU und den USA deutlich: Ein Abschied aus dem Zustand der latenten und manifesten Dauerkrise ist derzeit nicht in Sicht.

 „Funktionieren, damit  alles andere funktioniert“

In diesen Auseinandersetzungen um die unverzichtbare Rolle von Infrastrukturen verdichten sich die Widersprüche der Dauerkrise.  Ihr entgrenzter und disruptiver Charakter konterkariert zum einen die gestiegenen Erwartungen, die an Infrastrukturen als Stabilitätsanker und Schutzvorkehrungen gerichtet werden. Zum anderen gelten Infrastrukturen selbst zunehmend als Hebel für Angriffe, das Ausdehnen machtpolitischer Einflusszonen und Verunsicherung. In dieser Gemengelage gewinnen Infrastrukturkonflikte eine neue Qualität, die sich an der Frage ihrer „kritischen“ oder auch „systemischen“ Bedeutung entzünden.

Der begriffliche Aufstieg von „systemrelevant“ ist zunächst eng mit der Finanzkrise der Jahre 2008f. verbunden. Mit ihr rückt die Gefahr von Dominoeffekten stärker in den Blick: Die fallenden Finanzinstitutionen drohten erhebliche Teile von Wirtschaft und Gesellschaft mizureißen. Ihr Status als „too big“ oder auch „too interconnected to fail“ löste reihenhaft staatlichen Eingriffe aus. Die Einstufung als „systemrelevant“ begründete in diesem Fall vor allem umfassende öffentliche Risikoübernahmen und Unterstützungsprogramme für gecrashte Banken. In der Corona-Pandemie wurde wiederum bloß „beklatschte“ Systemrelevanz zur Chiffe für unter- bis unbezahlte Care-Arbeiten in z.B. Gesundheit, Altenpflege, Bildung und Kinderbetreuung. Gleichzeitig diente die Einstufung als „systemrelevante“ Tätigkeit zur Legitimierung eines besonderen Zugriffs von Unternehmen und Staat auf Arbeitskräfte während der Lockdowns (im Sinne eines „Funktionieren, damit alles andere funktioniert“).

Darüber hinaus stieg im Zuge der Pandemie der Druck, das Vokabular zum Schutz kritischer Infrastrukturen („KRITIS“) genauer auszudifferenzieren. In der Regulierung „systemrelevanter Einrichtungen“ wird stärker zwischen einer „unmittelbaren“ und „mittelbaren“ Relevanz für „Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen“ unterschieden (BBK 2021: 6). „Kritische“ Infrastrukturen gelten somit als „unmittelbar“ systemrelevanter als andere Einrichtungen. Weitere Einrichtungen (z.B. Zulieferer) sorgen nachgereiht für Güter und Dienstleistungen, die für den Betrieb kritischer Infrastrukturen und die Bereitstellung ihrer Dienstleistungen nötig sind. Derartige Klassifikationen bleiben jedoch nicht zuletzt angesichts der offenen Problematik einer Art „Zwei-Klassen-Systemrelevanz“ strittig. Das besagte KRITIS-Schema stand etwa dafür in der Kritik, dass Bereiche kritischer sozialer Infrastruktur wie Pflege darin ausgeklammert bleiben.

Für eine weiterführende, analytische Einordnung des Begriffs „Kritikalität“ bieten sich die Arbeiten des Soziologen Andreas Folkers an: Er unterscheidet die Rationalitäten der „Kriegswichtigkeit“, „Lebenswichtigkeit“ und „Systemwichtigkeit“. Sie stellen „Koordinaten des historischen Möglichkeitsraums“ dar, „in dem über die Kritikalität von Infrastrukturen verhandelt und gestritten werden kann“ (Folkers 2018: 149). Das führt zu einem dynamischen Verständnis davon, wie sich das Mischverhältnis von Kriegs-, Lebens- und Systemwichtigkeit in konkreten gesellschaftlichen Konjunkturen jeweils wandelt. Beispielsweise fällt die Hochzeit öffentlicher Infrastrukturen mit dem Ausbau des Wohlfahrtsstaats in Europa zusammen (als Teil der sog. „Daseinsvorsorge“ bzw. „öffentlicher Dienstleistungen“). Doch auch damals galten Infrastrukturen als unverzichtbare Bestandteile kriegswichtiger Logistik und Mobilisierung. Ein wichtiger Ausgangspunkt liegt folglich darin, die jeweiligen gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen solcher Zuschreibungen – „kritisch“ oder „systemrelevant“ – zu reflektieren.

Die genannte Trias aus „kriegs-lebens-systemwichtig“ hilft, im gegenwärtigen Lauf der Dauerkrise frühzeitig für molekulare Veränderungen z.B. in der Begründung des staatlichen Zugriffs auf Infrastrukturen zu sensibilisieren. Wenn Zugriffe auf „kritische“ Infrastruktur vermehrt im Namen von „Sicherheit“ und „öffentlicher Ordnung“  erfolgen, dann geschieht das vielerorts unter den Bedingungen einer vormals radikalisierten Privatisierungs-, Spar- und Liberalisierungspolitik. Dort wo einst beispielsweise öffentliches Eigentum dominierte, versuchen nationale Regierungen in der verschärften Dauerkrise ihren Kontrollverlust zu kompensieren. Die amalgamhafte Verschmelzung von Kritikalität, Systemrelevanz und Sicherheit wird somit hoch relevant dafür, staatliche Handlungsfähigkeit in der Krise zu gewinnen. Sie ist zu einem zentralen Vehikel geworden, Verfügungsmacht gegenüber privatisierten Eigentums- und liberalisierten Marktverhältnissen geltend zu machen.

Ein markantes Beispiel ist die „neue Wachsamkeit“, die Staaten gegenüber Aufkäufen in kritischen Bereichen wie etwa Verkehr, Energie, Gesundheit oder digitaler Infrastruktur zeigen. Sog. „Investment Screenings“ (oder auch: Investitionsprüfungen) befinden sich weltweit auf dem Vormarsch und richten sich vornehmlich auf die Kontrolle ausländischer Direktinvestitionen (sog. „FDI“). Sie erlauben Regierungen derartige Aufkäufe nicht nur näher unter die Lupe zu nehmen, sondern auch invasivere Interventionen: Diese reichen von Genehmigungsauflagen bis zur tatsächlichen Untersagung des Eigentumserwerbs.

Blindstellen des wiederentdeckten Staatsinterventionismus

Die Wiederkehr von Investitionskontrollen als „Policy Tool“ stößt jedoch auf begrenzte öffentliche Handlungsspieräume (bzw. „policy space“). So blieb es letztes Jahr beispielsweise behördlich bemerkenswert still, als u.a. in Deutschland und Österreich die Reha- und Pflegeeinrichtungen der VAMED von einem Private-Equity-Fonds aufgekauft wurden. An diesem Vorgang zeigten sich die Blindstellen der neu eingerichteten Verfahren, wenn es z.B. um die Überprüfung der Aufkauf-Verkauf-Strategien von international verflochteten Finanzinvestoren in sozialen Infrastrukturen wie Pflege oder Gesundheit geht. Auch unter rechtlich-institutionellen Gesichtspunkten bleiben staatliche Interventionen, die sich beispielsweise explizit auf Prüffaktoren wie Risiken für soziale Kohäsion, regionale Entwicklung, ungleicher Zugang oder Beschäftigungsqualität in kritischen Infrastrukturen beziehen, bislang weitestgehend tabuisiert. Als zentraler Hebel für das Aktivieren von Investment Screenings dienen hingegen sog. „Sicherheitsausnahmen“. Dabei berufen sich Regierungen – je nach Länderkontext – auf z.B. eine Gefährdung der „nationalen Sicherheit“, „Sicherheit“, „öffentlichen Ordnung“ oder „nationaler Interessen“, um ausländischen Direktinvestitionen kontrollieren zu können. Sie nutzen damit nicht zuletzt eine der wenigen Schneisen, die rechtlich gegenüber vormals eingegangen, langfristigen Verpflichtungen  z.B. im Rahmen von internationalen Freihandels- und Investitionsverträgen oder auch im Zuge der EU-Kapitalverkehrsfreiheit bestehen.

Im vemehrten Berufen auf Sicherheitsausnahmen spiegelt sich eine Quadratur des Kreises für staatliche Interventionspolitik. Sie findet unter den Bedingungen der radikalisierten Privatisierungs-, Spar- und Liberalisierungspolitik der 1990er-Jahre statt. Für die Durchsetzung derart disziplinierend-neoliberaler Politiken, ihre institutionelle Verankerung und gleichsam „konstitutionelle Wirkung“ nahmen rechtliche Bereiche mit  einer „erschwerten Abänderbarkeit“ (Krajewski 2010: 384) eine besondere Rolle ein. Wenn Regierungen nun vermehrt durch Investment Screenings verstärkte Kontrollansprüche an Infrastrukturen geltend machen, dann berührt das z.B. innerhalb der EU und des Weltwirtschafsrechts die Grenzen des neoliberal geprägten Konstitutionalismus der 1990er-Jahre.  Am Beispiel jüngster Initiativen der Europäischen Kommission zur Stärkung „wirtschaftlicher Sicherheit“ zeigt sich jedoch: An einem neuen Mischverhältnis zwischen fortgesetzter Marktorientierung und einem sicherheitsgetriebenen Ausbau von Staatsinterventionismus wird gearbeitet. Teil des Maßnahmenpakets ist eine Neufassung der EU-Regelungen zum FDI-Screening aus dem Jahr 2019. Dafür bildet ein verschärfter Wehrhaftigkeits-Diskurs die Klammer: Dieser reicht von den Risiken für  widerstandsfähige Lieferketten bis zur Warnung, dass wirtschaftliche Abhängigkeiten zunehmend als Waffen genutzt werden.

So ist vor allem auch im Schatten der marktliberal geprägten Staatlichkeit der EU ein zwiespältiger Hybrid enstanden. Während sich die Abschirmbewegung gegenüber öffentlichen Interessen fortsetzt, werden ökonomische und Sicherheitsapparate stärker ineinander verschränkt. Der neuerliche Schub zur „Versicherheitlichung“ von Investitionskontrollen führt dazu, dass diese selektive protektive Wende gerade keine Ausweitung öffentlicher Handlungsspielräume zum Gegenstand hat. Für diesen geoökonomisierten Staatsinterventionismus dienen Eigentumseingriffe und Marktinterventionen vornehmlich zur Abwehr von Sicherheitsgefahren. Das restriktive Verständnis von Kritikalität ermöglicht zudem, Entscheidungsverfahren über das Für und Wider eines staatlichen Eingreifens technokratisch abzuschotten.

Die Rahmung der Aufkäufe als Sicherheitsrisiko wird folglich nicht zuletzt als Rechtfertigung dafür genutzt, öffentliche Schutz-, Informations- und Beteiligungsinteressen einzudämmen. Die Frage „Wer kauft sich da ein?“ ist gesellschaftlich vor allem in Bereichen wie Energie, Gesundheit, Pflege, Wohnen, Verkehr und digitaler Infrastruktur von hohem öffentlichen Interesse, denn es geht um die Verfügungsmacht über gesellschaftliche Basisfunktionen. Aber die neue Wachsamkeit endet vielerorts dort, wo Vorrangregeln für uneingeschränkte Kapitalflüsse und Eigentümerinteressen nach wie vor stärker geschützt werden als öffentliche Gestaltungs- und Kontrollinteressen an unverzichtbarer Infrastruktur.

Geostrategische Treiber für zunehmende Infrastrukturkonflikte

Auch in anderen Zusammenhängen zeigt sich: Die Re-Vitalisierung staatlicher Interventionsbereitschaft und Infrastrukturpolitik findet gegenwärtig vornehmlich unter sicherheitsbezogenen Vorzeichen statt. Dafür werden im internationalen Kontext insbesondere zwei Treiber für Infrastrukturkonflikte diskutiert. Die erhöhte Relevanz sog. „bewaffneter Interdependenzen“ und die These eines „Zweiten Kalten Kriegs“.

Welche Risiken erwachsen etwa daraus, dass Abhängigkeiten von international stark verflochtenen Produktions- und Versorgungsnetzwerken zunehmend dazu eingesetzt werden, anderen gezielt zu schaden? Die Risiken derart „bewaffneter Interdependenzen“ hatten etwa nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine die hohe  außenwirtschaftliche Abhängigkeit der EU von fossilen Energieinfrastruktur verdeutlicht.  Nun wächst zudem die Sorge,  dass Präsident Trump die besondere Stellung der USA in der globalen Finanz-, Handels- und Digitalinfrastruktur für seine „America First“-Agenda  noch offensiver instrumentalisiert. Kritische Infrastrukturen rücken so beispielsweise als potentielle Engpässe (sog. „choke points") für das Ausnutzen bewaffneter Interdependenzen, aber auch als Grundlage für sicherheits- und wirtschaftspolitische Allianzbildungen in den Blick.

Dieses geoökonomisch aufgeladene Ringen um die Kontrolle globaler kritischer Infrastrukturen lässt sich gerade deutlich in der Triade aus den USA, China und der EU beobachten. Deren hegemoniale Ansprüche sind von offensiven und defensiven Interessen getrieben: Strategische Knotenpunkte z.B. im Verkehrs-, Digital-, Finanzwesen und Produktionsnetzwerken gewinnen für den Ausbau von geostrategischen Einflusssphären und die langfristige Erschließung von Geschäftsfeldern an Bedeutung. Darüber hinaus sind die Übergänge zu Motiven der sicherheitspolitischen Risikoabwehr, der Eindämmung technologischer und versorgungskritischer  Abhängigkeiten sowie wirtschaftlicher Protektion strategischer Industriezweige fließend. Systemrelevanz und Kritikalität sind unter diesen Gesichtspunkten untrennbar mit dem Ringen um Netzwerk-Zentralität in einer zunehmend polarisierten und fragmentierten Weltordnung verbunden. Mit Susan Strange, eine der Pionier:innen der Internationalen Politischen Ökonomie, lassen sich die damit verbundenen Infrastruktur-Rivalitäten als Konflikte um „strukturale Macht“ verstehen. So versucht beispielsweise die EU und die USA , mit nachzügelnden infrastrukturellen Flaggschiffprojekten Chinas neuem Seidenstraßen-Projekt den Rang abzulaufen. Von physischen digitalen Infrastrukturen (z.B. Mobilfunkmasten, Unterseekabeln, Rechenzentren) über Energieversorgung (z.B. grüner Wasserstoff) und Finanzinfrastrukturen (z.B. Zahlungssysteme) bis zu Verkehrsknotenpunkten (z.B. Häfen) reichen dabei die Versuche, Terraingewinne gegenüber geoökonomischen Rivalen sicherzustellen.

Dies führt immer häufiger zur Zeitdiagnose eines „Zweiten Kalten Krieges".  Dieser ist durch die latenten und manifesten Konflikte um die Verfügungsmacht über transnationalisierten Infrastrukturen geprägt. Darin zeichne sich bislang – so die These – kein durchschlagender Sieg irgendeiner Seite ab. Das derzeit vornehmlich zwischen den USA und China stattfindende Ringen um Netzwerk-Zentralität führt zu fortlaufenden Versuchen, Kontrolle über zentrale globale Infrastrukturen auszuüben und zugleich Verwundbarkeiten zu reduzieren (oder im Gegenzug Abhängigkeiten anderer strategisch zu instrumentalisieren). Kritikalität und Systemrelevanz werden somit zum umkämpften Umschlagspunkt gegenwärtiger Krisen- und Ordnungspolitik.

Ausblick: Verschärfte Konflikte um Kriegs-, Lebens- und Systemrelevanz

Der Einsatz für eine „pro-öffentliche Alternativenpolitik" sowie eine „neue Politik des Öffentlichen“ war in der COVID-19-Krise stark mit dem Versuch verbunden, die Systemrelevanz von Sorgearbeit und öffentlicher Infrastruktur aufzuwerten. Die Kritik an „beklatschter Systemrelevanz" lässt sich in diesem Zusammenhang nicht alleinig auf fehlende Bezahlung reduzieren. Andernfalls bliebe sie auf „Verteilung ohne Verfügung(smacht)“ (van Dyk 2022: 16) über entscheidende Arbeits- und Lebensgrundlagen beschränkt. Zur Disposition stand ein – zumindest aus damaliger Perspektive gescheitertes – Modell, das Sorgearbeiten in die privaten Haushalte abwälzt, die Abhängigkeit von Leistungsträgerinnen der Alltagsökonomie nicht anerkennt und wirtschaftsdemokratische Gestaltungsspielräume an kritischen Infrastrukturen systematisch einschränkt. Mit dem sog. „COVID-Moment“ wurde zwar ein gestiegenes Bewusstsein für kollektive Interdependenz, Verwundbarkeit und eine Neuentdeckung kollektiver Handlungsfähigkeit in Verbindung gebracht. Der Soziologe Colin Crouch sah aus diesen geteilten Krisenerfahrungen etwa auch erhöhte Potentiale dafür erwachsen, dass künftig Transformationsblockaden für die Bekämpfung der Klimakrise besser gelöst werden können.

Doch mittlerweile zeigt sich: Dieses Moment konnte gesellschaftlich nur bedingt dazu genutzt werden, öffentliche Verfügungsmacht gegenüber vormals privatisierten Eigentums- und liberalisierten Marktverhältnisse  zurück zu gewinnen. Vielmehr droht die neuerlich verschärfte Dynamik der Dauerkrise, die Aufwertung von Motiven der Systemrelevanz, Kritikalität oder auch Widerständsfähigkeit in eine andere Richtung zu verkehren. Dieser Beitrag hat versucht ansatzweise zu zeigen, wie die erhöhten Erwartungen und offensiven Interessen an Infrastrukturen zunehmend unter sicherheitliche Vorzeichen gestellt werden. Diesbezüglich sind die öffentlichen Blindstellen des neu entdeckten Staatsinterventionismus,  die verstärkt geoökonomische Aufladung von Infrastrukturkonflikten und der Vormarsch autoritärer Entwicklungen ein Warnschild für künftige Auseinandersetzungen.

So sind zuletzt beispielsweise Rufe lauter geworden, das Streikrecht von Beschäftigten in der kritischen Infrastruktur zu beschränken. Es steigt die Sorge, dass Auflagen zu Arbeitszeiten sowie Umweltschutz im Zuge einer voranschreitenden Aufrüstungs- und Deregulierungs-Agenda unter verschärften Druck kommen. Vor diesem Hintergrund kann die Einstufung als „systemrelevant“ oder „kritisch“ auch zum Gefahrenherd für öffentliche Kontrollmöglichkeiten und einen verschärften Zugriff auf Beschäftigte werden. Beispielsweise lassen sich in Deutschland mindestens 40 Prozent der Beschäftigen kritischen Infrastrukturen zuordnen. Für Österreich werden ähnlich hohe Anteile – 2/5 aller Erwerbstätigen –  im Zuge einer gesamheitlichen Sicht auf gesellschaftliche Grundversorgung ausgewiesen. Darin liegt ein hohes Potential begründet, öffentliche Infrastrukturen  als einen Hebel für eine gelingende soziale und ökologische Transformation zu nutzen. Doch im Gegenzug begründen aktuelle Bewegungen zur Verschärfung geoökonomischer Rivalitäten, zur Militarisierung und Gegenkonversion ein erhöhtes Risiko für eine machtpolitische Instrumentalisierung von Infrastrukturen. Umso mehr braucht es gerade auch mehr Wachsamkeit gegenüber  einem autoritär-staatlichen Zugriff auf diese unverzichtbaren Bereiche. Denn in der absehbaren Zukunft der Dauerkrise wird die gesellschaftliche Entscheidungshoheit über Kritikalität und Systemrelevanz noch umkämpfter werden.

 

Foto von Barrett Ward auf unsplash