Unterleuten über Eigentum: Die Tragödie der Anticommons und das Uncommoning im deutschen Windenergieausbau
In Juli Zehs Gesellschaftsroman Unterleuten aus dem Jahr 2016 geht es um das fiktive brandenburgische Dorf „Unterleuten“, das bald einen Windpark beheimaten soll. Mit der Präsentation von Windparkplänen wittern sowohl ein Investor aus dem Westen als auch ein lokaler Landwirt Chancen auf große Gewinne. Das Problem: Wenngleich Beide Land im Windeignungsgebiet besitzen, reicht die Fläche nicht für einen Windpark aus – so entsteht eine Rivalität um ein drittes Grundstück. Dieses wiederum gehört aber einer Pferdeliebhaberin, die versucht ihre Königsmacher-Position so auszuspielen, dass sie ihre eigenen Interessen (das Errichten eines Pferdehofs) am besten umsetzen kann. Hinzu kommt, dass auch der Wald für den örtlichen Windenergieausbau in Frage käme. Die geeignete Fläche hierfür gehört aber einem missmutigen Ortsansässigen, der den Plänen für Windenergie zunächst kritisch gegenübersteht.
Was Zeh literarisch inszeniert, ist ein klassischer Eigentumskonflikt um Landflächen, wie er im Rahmen der Energiewende immer wieder zu beobachten, und somit auch für den SFB interessant ist. Am Beispiel von Unterleuten veranschaulicht dieer Beitrag sowohl das Konzept der Eigentumsketten, das am SFB in den letzten Jahren viel diskutiert wurde, wie auch die Konzepte des Uncommonings und der Anticommons. Dabei wird aufgezeigt, dass vor allem Landeigentum maßgeblich darüber entscheidet, wer am Windenergieausbau in Deutschland teilhaben kann.
Wind als Allgemeingut – und doch nicht für alle zugänglich
Rechtlich ist der Wind in Deutschland ein Allgemeingut, er gehört niemanden und ist also prinzipiell für alle nutzbar. Allein durch seine Beschaffenheit lässt er sich nicht auf ein Grundstück beschränken und ist darüber hinaus auch flüchtig, daher eignet er sich auch nicht als Privatbesitz. Dennoch diskutiert in Unterleuten niemand darüber, wie man die aus dem Wind generierten Kosten und Nutzen gerecht verteilen könnte. Der Fokus liegt vielmehr auf den entsprechenden Landflächen und jenen, die diese besitzen. Tatsächlich ist das Recht den Wind nutzbar zu machen und damit von seiner Inwertsetzung zu profitieren in Deutschland zwar nicht de jure, aber doch de facto an Landrechte gebunden: Ohne die Zustimmung der Landbesitzer:innen können keine Windräder in Windeignungsgebieten errichtet werden. Unrealistisch in Juli Zehs Roman ist jedoch, dass Windenergieunternehmen direkt zu Beginn des Planungsprozesses an die gesamte Gemeinde herantreten, ohne vorher mit den Landeigentümer:innen Verträge abgeschlossen zu haben. Gerade der Prozess der Flächensicherung beinhaltet in der Regel Verhandlungen hinter verschlossener Tür. Das heißt, Anwohner:innen ohne relevanten Grundbesitz erfahren zumeist erst von einem Projekt, wenn die Flächen dafür bereits gesichert wurden. Dies hat mehrere Gründe: Zum einen wollen Projektierer vermeiden, dass die Planung eines Windparks zu früh öffentlich wird, da sie mehr Konkurrenz befürchten. Zum anderen versuchen Flächensicherer aber auch, Landbesitzer:innen schon vor der Ausweisung von Windvorrangflächen ausfindig zu machen und sich diese Flächen in Antizipation eines zukünftigen Vorranggebietes zu sichern. Landflächen, so wurde es uns im Projekt C03 erklärt, seien inzwischen das „Gold der Energiewende“.
Anders ist dies im Offshore Bereich. In der deutschen Bucht ist der Ausbau durch staatliche Konzessionen geregelt, wodurch Flächenkonflikte dort weniger relevant sind. Trotzdem kann sowohl für den Onshore- als auch den Offshore-Ausbau der Windenergie resümiert werden, dass sich der Wind weder ohne den Zugang zu geeigneten Flächen, noch zu entsprechenden Technologien (Windräder, Netze, etc.) nutzbar machen lässt. Die Nutzung des Allgemeinguts Wind ist also maßgeblich durch Eigentum an verketteten Ressourcen und Gütern beschränkt – wir sprechen daher von Eigentumsketten und einem damit verbundenen Uncommoning of the Commons. Damit meinen wir, dass der Status des Windes als Allgemeingut/Commons im Windenergieausbau geradezu irrelevant wird, weil der Zugang dazu maßgeblich über Privat-, Kommunal- und Staatseigentum an den Landflächen und den Technologien geregelt wird. Andere verwenden den Begriff der (Tragedy of the) Anticommons, um einen verwandten Sachverhalt darzulegen: Im Gegensatz zur Tragedy of the Commons, bei welcher mehrere Personen das Recht der (gleichzeitigen) Nutzung (nicht aber des Ausschließens) an einer Allmende haben – was bei ausbleibender Verwaltung zu einer Übernutzung eben dieser führen kann – besteht die Tragödie der Anticommons darin, dass mehrere Personen das Recht haben, andere von der Nutzung einer Allmende auszuschließen – was zu einer Unternutzung der Ressource führen kann. Das Konzept der Anticommons bezieht sich also darauf, wie Ressourcen, die als Allgemeingut gedacht sind, durch verschiedene Eigentumsansprüche und Nutzungsrechte so fragmentiert werden, dass sie letztlich nicht effizient genutzt werden können.
Am Beispiel der Landnutzung für Windenergie in Unterleuten lassen sich die Konzepte des Uncommonings und der Anticommons verdeutlichen.
Landeigentümer:innen als Schlüsselakteure
In Unterleuten ist ein zentraler Konflikt jener zwischen dem Besitzer der lokalen Landwirtschaftsfirma und dem Besitzer eines Waldstücks im Windeignungsgebiet. Der Konflikt zwischen den beiden macht das Prinzip des Uncommonings greifbar: Beide können verhindern, dass Windenergie auf ihren Flächen erzeugt wird, und blockieren damit die Nutzung eines Ressourcenpotentials, das für die deutsche Energiewende wichtig wäre. Der Zugang zum Allgemeingut Wind ist in Unterleuten maßgeblich über den Zugang zum Privateigentum Land blockiert. Andere Dorfbewohner:innen, die formal die gleichen Rechte in Bezug auf die Ressource Wind haben, haben darauf keinen Einfluss. Ob sie diese Windräder in Ortsnähe möchten oder nicht, spielt zunächst keine Rolle, allein die Landbesitzer:innen entscheiden, ob die Pläne für den Windpark umgesetzt werden oder nicht.
Landwirtschaftsflächen, die (neben Forstwirtschaftsflächen) vor allem für den Ausbau der Windenergie genutzt werden, liegen in Deutschland überwiegend in der Hand von Privatpersonen (etwa 80 Prozent), nur etwa sechs Prozent liegen in öffentlicher Hand (davon liegen zwei Prozent in staatlicher Hand, etwa vier Prozent sind den Kommunen zuzuschreiben). Das macht private Landbesitzer:innen zu bedeutenden Veto-Spieler:innen im Windenergieausbau: Sie können Windenergieprojekte nicht nur verhindern, indem sie sich weigern, ihre Landflächen für die Windnutzung zu verpachten, sondern auch darüber entscheiden, wem sie ihr Land verpachten. Ob Windenergie an Land also von großen Privatfirmen, Genossenschaften, Stadtwerken, o.a. umgesetzt wird, hängt also maßgeblich von Landbesitzer:innen ab.
Historisch bedingte Fragmentierung und Privatisierung der Landflächen
Gerade in Ostdeutschland verschärft sich die Problematik um die Nutzung der Landwirtschaftsflächen für den Ausbau der Windenergie noch, was zum Teil historisch bedingt ist. Nach der Wende wurden in der DDR kollektivierte Landflächen privatisiert, oft an Investor:innen und Personen aus dem Westen verkauft. Diese Entwicklung führte dazu, dass ein Großteil der Landflächen in Ostdeutschland heute in den Händen von privaten Besitzern (also überwiegend männlichen Personen) liegt, die außerhalb der jeweiligen lokalen Gemeinschaft wohnen. In Unterleuten ist dies durch einen Ingolstädter Unternehmensberater verbildlicht. Dieser hat keine emotionale oder soziale Verbundenheit zur Gemeinde, in der sich seine Fläche befindet und versucht daher nach den höchsten monetären Ertragschancen zu streben, ohne sich um den Dorffrieden oder eine faire Verteilung der Kosten und Gewinne vor Ort zu sorgen.
Ausschlaggebend ist also auch die Motivation der Landbesitzer:innen: Geht es vor allem darum, aus der Windenergie große Gewinne zu erwirtschaften, wie es in Unterleuten der Fall zu sein scheint, entscheiden sich Grundbesitzer:innen i.d.R. für jene, die ihnen am meisten Pacht bieten, sprich große Energiekonzerne und Investorenfirmen. Geht es den Landbesitzer:innen jedoch auch darum, den Dorffrieden zu bewahren und das Beste für die gesamte Gemeinde herauszuholen, so verpachten sie mit höherer Wahrscheinlichkeit auch für weniger Pacht an Bürgerenergieprojekte und/oder lokale Stadtwerke.
Zentral für den deutschen Windenergieausbau ist zudem ein weiterer historischer Aspekt: die Erbteilung. In den Gegenden, in denen Landbesitz in der Vergangenheit primär an den ältesten Sohn vererbt wurde (v.a. im norddeutschen Raum), finden sich auch heute noch eine Vielzahl von Großgrundbesitzer:innen. Regionen, wie etwa in Thüringen, in denen Landeigentum auf alle Erben aufgeteilt wurde, finden sich hingegen eine Vielzahl von sog. „Handtuchflächen“, also viele Kleingrundbesitzer:innen. Dies hat zur Folge, dass Flächensicherer mit mehreren Landbesitzer:innen verhandeln müssen, da einzelne Flächen i.d.R. nicht groß genug für Windprojekte sind. Im Hinblick auf das Konzept der Anticommons bedeutet dies jedoch auch, dass eine Vielzahl an Akteur:innen Ausschlussrechte an der Allmende Wind haben. In den USA konnte bereits nachgewiesen werden, dass die installierte Windkapazität deutlich abnimmt, je stärker das (Land-)Eigentum in einem Gebiet fragmentiert ist.
Lösungen: Landpooling und Enteignung?
Lösungsansätze gibt es dafür bereits auch schon in Deutschland: Beim sog. „Landpooling“ legen Landbesitzer:innen ihre Landflächen zusammen, so dass Projektierer Windräder auf dieser aufsummierten Fläche so platzieren können, dass sie den Wind optimal nutzen. Die Pacht wird i.d.R. in einem 80:20 Verhältnis ausgezahlt: 80% der Pacht gehen an alle Landbesitzer:innen innerhalb des Pools, weitere 20% an jene, auf deren Grundstück am Ende tatsächlich ein Windrad erbaut wird. Dies vermeidet nicht nur die Unternutzung des Windes, sondern wird lokal auch als eine gerechtere Verteilung der Nutzen und Kosten angesehen. Während das Pooling jedoch die Tragödie der Anticommons adressiert, ändert es nichts an der Machtposition der Landbesitzer:innen und der Praktik des Uncommonings. Lösungen hierfür bleiben in Deutschland bisher vor allem Theorie, wie etwa Vorschläge zur (Teil-)Enteignung für den Ausbau der Erneuerbaren Energien (siehe etwa Rodi 2017 und Hermes 2017).
Fazit: Wer entscheidet über die Energiewende?
Diskurse über Energiegerechtigkeit und Akzeptanz fokussieren sich oft darauf, wie Bürger:innen an geplanten Windenergieprojekten beteiligt werden können. Juli Zehs Roman Unterleuten verschiebt die Perspektive auf Landeigentum und zeigt dabei relevante Konflikte im deutschen Windenergieausbau auf, gerade im Osten Deutschlands. Entscheidungen darüber, wer an Windenergieprojekten beteiligt wird und wie diese vor Ort umgesetzt werden, werden oft schon dann getroffen, wenn der Windpark selbst noch nicht geplant wurde und beginnen mit der Flächensicherung. Landbesitzer:innen haben hier eine unverhältnismäßig große Entscheidungsgewalt und treten in einen Wettbewerb darum, wer von den lukrativen Pachteinnahmen profitieren kann. Gleichzeitig haben lokale Bürger:innen ohne relevantes Landeigentum kaum Mitsprache bei der Planung und Umsetzung der Projekte. In Unterleuten konnte der Windpark letztendlich im Forstgebiet zugunsten eines lokalen Bürgers umgesetzt werden. Die Konzepte der Anticommons und des Uncommonings verdeutlichen aber, dass die überproportionale Entscheidungsmacht der Landbesitzer:innen gerade dann ein Problem darstellen, wenn die Verteilung der Profite aus Windenergieprojekten ungleich ist. Dies ist gerade im Hinblick auf Ostdeutschland kritisch: Aus unseren Interviews geht hervor, dass Gewinne aus den Windparks sowie aus den Landpachten hier oftmals, auch aufgrund der fehlenden kommunalen Flächen, in den Westen und die Städte abfließen. Eine lokale Wertschöpfung, die gerade im strukturschwachen ländlichen Raum in Ostdeutschland gewinnbringend wäre, wird so verringert.