Zwiespältiges Eigentum: Von der Spätantike zum Mittelalter

Projektbeschreibung
In der ersten Projektphase (in der unser Projekt den Titel „Göttliches Eigentum“ trug) haben wir Wandlungen von Eigentumsverhältnissen untersucht; im Zuge dessen haben wir sowohl die Begrifflichkeiten „Wandel“ und „Eigentum“ analysiert. Unsere Analyse ergab, dass die Entstehung von (insbesondere privatem) Eigentum maßgeblich von einer religiös-intellektuellen Kategorie beeinflusst wurde, die im Kontrast zur rechtlichen Regelung alltäglicher Praktiken stand. Das Erben schien eine der grundlegenden Triebfedern für diese Neukonzipierung zu sein, genau wie der Wandel von göttlicher Handlungsmacht und göttlichem Gesetz (Codex Hammurabi; Thora) hin zu menschlicher Handlungsmacht und den neuen rechtlichen Rahmenbedingungen des Zivilrechts (Codex Iustinianus).
Die neuartigen Fragen, die sich aus der ersten Förderphase ergeben, befassen sich mit einer zunehmenden Ambivalenz zwischen den neuen Formen des Eigentums, die mit rechtlich abgesicherten Konzepten des Privateigentums aufkamen, sowie mit neuen Akteuren, die neue regulatorische Rahmenbedingungen festlegten und durchsetzten, z. B. die Rolle von Gesetz, Staat und Kirche. Die Resultate der ersten Phase führen zu einer wichtigen Frage für die zweite Phase: Wie manifestierten sich Formen ambivalenten göttlichen Eigentums durch vererbtes und angeeignetes Eigentum in Verbindung mit der gegenteiligen Tendenz des Eigentum- und Erbverzichts? Um diese Frage zu beantworten, fokussiert sich das Projekt auf eine Analyse der persönlichen, institutionellen, strukturellen und langfristigen Konsequenzen der Ambivalenz zwischen Aneignung und Ablehnung von Eigentum, wobei das Medium der Schrift (z. B. Testamente, Urkunden, Verträge, juristische und Ritualtexte sowie Inschriften) als Ausgangsbasis verwendet wird, um Aufschluss über neue vielschichtige Formen und inhärente Konflikte des Eigentums in der Vormoderne zu erhalten. Es gibt drei Komplexe, die uns dazu veranlassen, das Konzept des Eigentums aus öffentlicher und aus privater Perspektive neu zu überdenken. Erstens lässt sich die Konstitution von Subjektivität und sozialer Persona auch auf der Basis ambivalenter und negativer Verweise auf Verfügungsrechte analysieren und nicht nur auf der Basis einer ausdrücklichen Bestätigung solcher Rechte. Zweitens scheint der Verzicht auf Formen der Verfügung und die daraus resultierende Übertragung der Herrschaft über die Dinge auf göttliche Instanzen zu neuen zeitlichen Ketten langfristigen
Eigentums zu führen, die durch Verschleierung, Ambivalenz und die Trennung von kurzfristiger Nutznießung und langfristiger Verantwortung gekennzeichnet sind, was die traditionellen Eigentumsmechanismen in der Antike zusätzlich belastete. Drittens helfen neue Modelle einer Sharing-Ökonomie, die aus „Degrowth“- und Gender-Perspektive untersucht werden, die Folgen einer erfolgreichen religiösen Askese und die Veränderung von Eigentumserwerb und -verzicht/-verfügung zu erörtern, die mit einer neuen Staatlichkeit als Teil des Wandels von der frühen Kaiserzeit zur Spätphase des Römischen Reichs einhergehen. Diese Dynamiken kommen in diversen Forschungsbereichen zum Tragen, einige Beispiele: Entstehung des römischen Kaiserkults mit seiner neuen, allgegenwärtigen Dynamik der Aneignung öffentlicher und religiöser Räume und der Ablehnung solcher Kultformen durch die frühen Christen; Entwicklung von Eigentumsketten durch die Schenkung von Gütern an griechisch-römische Tempel und frühchristliche Kirchen; Streit um die Kommerzialisierung von Natur, Land und Gütern; Einführung von Erbschaftssteuern zur Unterstützung der Armen.
Durch die Konzentration auf diese Forschungsbereiche werden die drei Komplexe mit folgenden Zielsetzungen untersucht: erstens, um die Erwerbs- und Verfügungsrechte in der Antike als Rechte zu verstehen, die durch Eigentumsketten und ein sich entwickelndes Eigentumssystem geformt sind, das nicht vollständig auf zeitgenössische juristische oder soziologische Kategorien abgebildet werden kann; zweitens, um durch eine Analyse der drastischen strukturellen Veränderungen in Bezug auf Eigentum im Römischen Reich die traditionelle Sichtweise einer strikten Dichotomie zwischen Radikalisierung und krisenbedingten Herausforderungen zu modifizieren. Tatsächlich verweist die historische Kontextualisierung von göttlichem Eigentum auf ein Paradoxon, bei dem eine diskontinuierliche Zunahme von Privateigentum im Besitz von Einzelpersonen, Familien und Institutionen (Kirchen, Klöstern, Staaten) während der Kaiserzeit (1. Jahrhundert v. Chr. bis 3. Jahrhundert n. Chr.) und noch mehr in der Spätantike und im frühen Mittelalter radikalisiert wurde und durch die Entwicklung negativer Prozesse wie Ablehnung, Verzicht oder sogar Enteignung eben jenes Privateigentums (z. T. durch dieselben Akteure) rechtlich gestärkt wurde.
Projektaktivitäten
Veröffentlichungen (Auswahl)
wissenschaftliche Publikationen
Beiträge in Zeitschriften und Sammelbänden:
- Bianchi Mancini, S., contributor in Nickel, R. _Lexikon der antiken Literatur_, 4. Auflage. Marburg: Tectum, (i. E).
- Bianchi Mancini, S.; Dell’Isola, M. (Hrsg.) (2024): Divine Property and Boundary Violation from Antiquity to the Middle Ages, (in Vorbereitung).
- Bianchi Mancini, Sofia (2024): „Gods’ Landed Property: Sacred Groves in Republican and Imperial Literature“, in: Bianchi Mancini, S., Gibson, H., Schuck, D., Vinzent, M. (Hrsg.): Relating to Landed Property, Frankfurt: Campus.
- Vinzent, Markus (2024): „Inheritance of land – the origin of property“, in: Helen Anne Gibson, Dirk Schuck, Sofia Bianchi Mancini, Markus Vinzent (Hrsg.), Relating to Landed Property, Frankfurt: Campus.
- Vinzent, Markus (2024): „Nature – our common good? A Patristic challenge“, in: Marcin Wysocki (Hrsg.) Christians of the Patristic Period in Relation to Nature, Studia Patristica, Leuven.
Sammelbände:
- Bianchi Mancini, S.; Gibson, H.; Schuck, D.; Vinzent, M. (Hrsg.) (2024): Relating to Landed Property, Frankfurt: Campus.
Medien und Podcasts
- Rüpke, Jörg (2023): „Holidays as divine property: Moving symbols of ownership from the countryside into the city”, in: blog of the Collaborative Research Centre “Structural Change of Property”. (published 27.11.2023)
Vorträge (Auswahl)
- Bianchi Mancini, Sofia (2024): Internationale Konferenz „Objects as a Lens on Group Formations in the Cities of the Roman Empire (1st-4th Centuries CE)“ – Geschlossene Podiumsdiskussion (mit Prof. Laura Carnevale): „Property of Ritual Space“, Universität Erfurt.
- Bianchi Mancini, S.; Dell’Isola, M. (2022): EASR — Geschlossene Podiumsdiskussion: „Boundary Violation Between Property and Freedom: Case Studies from Antiquity to the Middle Ages“, University College Cork, Irland.