Streit um Eigentumsordnungen und Wohnraum: Formen des (Un-)Doing von kommodifiziertem Eigentum an urbanem Land in Indien und Deutschland

Projektbeschreibung

Projekt B01 der zweiten Phase des SFB knüpft an Forschungen in der ersten Phase an. In der ersten Phase des Projekts wurden Auseinandersetzungen um Eigentumsrechte und Besitzansprüche auf Wohnraum im indischen städtischen Kontext aus der Sicht sozial marginalisierter Teile der indischen Gesellschaft (Dalit und andere) untersucht und die intergenerationale Übertragung von Eigentum verfolgt. In der zweiten Phase wird die Perspektive auf zweierlei Weise erweitert: (1) durch Einbeziehung von Auseinandersetzungen über Boden- und Wohneigentumsregime im indischen urbanen Kontext, an denen Angehörige der indischen Mittelschicht beteiligt sind, und (2) durch Hinzuziehen eines Fallbeispiels aus dem „globalen Norden“, in dem es um Auseinandersetzungen um urbane Boden- und Wohneigentumsverhältnisse durch zivilgesellschaftliche Akteure in Deutschland geht.

Die erste Phase konzentrierte sich auf die Eigentumsverhältnisse in Dharavi in Mumbai, dem größten und symbolträchtigsten sogenannten „Slum“ Indiens (Fallstudie A), und auf die Dynamiken von Eigentum über vier Generationen einer erweiterten Dalit-Patrilinie im semiurbanen Kontext von Madhya Pradesh (Fallstudie B). In beiden Fallstudien wurde die soziopolitische Einbettung von Eigentumsverhältnissen deutlich, konzeptionelle Annahmen wurden neu definiert. Im Rahmen der Neukonzeptionierung der Kategorien von Boden- und Wohneigentum im Fall von Dharavi erschien es als vordringlich, die Binarität von Formalität vs. Informalität von Eigentumsverhältnissen (de jure vs. de facto) sowie von Legalität vs. Illegalität zu überwinden. Das Projekt setzte an deren Stelle das Konzept inkrementeller „Konstruktion von Eigentumsrechten in der Praxis“, um damit die vorherrschenden Mischformen von Eigentum in ihrer Prozessualität besser zu erfassen. In der zweiten Phase des Projekts soll das Verständnis von Eigentumsverhältnissen und zeitgenössischen Formen des (un)doing von Eigentum durch die übergreifende konzeptionelle Linse von Auseinandersetzungen vertieft werden. Zu diesem Zweck wird das Projekt seinen vergleichenden Ansatz erweitern und einerseits weitere indische Metropolregionen (Bangalore und Delhi/Gurgaon, Fallstudie A) und andererseits Deutschland (Fallstudie B) einbeziehen, um zu versuchen, die Kluft zwischen der Forschung zum „globalen Süden“ und „globalen Norden“ zu schließen. In beiden Fallstudien werden drei Bereiche analysiert, in denen es zu Auseinandersetzungen um Eigentumsrechte kommt. Für Deutschland analysieren wir Auseinandersetzungen (1) um Sozialisierung von Land, (2) um Flächen- und Bodenpolitiken und (3) um die Besteuerung von Grund und Boden und die Abschöpfung von sozial produziertem Mehrwert; für Indien Auseinandersetzungen (1) um die Sanierung von „Slums“ („urban poor settlements“), (2) um Flächennutzungsplanung für den Mittelschicht-Wohnungsbau, (3) um die Verwaltung von Grund und Boden und Immobilienentwicklung an der Schnittstelle zwischen Stadt und Land. Wir nutzen eine Kombination aus Feldforschung, qualitativen Interviews, öffentlich zugänglichen Dokumenten und kritischer Diskursanalyse, wobei wir den Schwerpunkt auf kontextbezogene Faktoren legen. Auseinandersetzungen sind Teil eines Aushandlungsprozesses, den wir als doing, undoing, and redoing von Eigentum bezeichnen. Wir betrachten die Radikalisierung und Anfechtung von kommerzialisiertem Eigentum sowie die Formulierung alternativer Eigentumsformen nicht als voneinander unabhängige, sondern als gleichzeitige und dialektisch miteinander verbundene Erscheinungen. Auseinandersetzungen um Eigentum entfalten sich innerhalb und nicht außerhalb der bestehenden Eigentumsordnungen und sozio-institutionellen Kontexte; sie wirken der Reproduktion bestehender Eigentumsverhältnisse entgegen und tragen gleichzeitig zur Transformation dieser Eigentumsverhältnisse bei. Auf Basis von Fallstudien soll das Projekt die Entwicklung der Auseinandersetzungen um urbane Boden- und Wohneigentumsverhältnisse in den Kontexten „globaler Norden“ und „globaler Süden“ dokumentieren und vergleichen und die Transformationen und Reproduktionen dieser Eigentumsverhältnisse erörtern. Es soll nicht nur Ähnlichkeiten und Unterschiede in den Eigentumsverhältnissen im urbanen Kontext in den beiden Ländern untersuchen, sondern auch die unterschiedlichen De-jure-/De-facto-Ausprägungen von Eigentum, Praktiken, die die private Bodenkonsolidierung und -kommerzialisierung untergraben, und die Art und Weise, wie diese in den betroffenen Gebieten und von der Wissenschaft konzeptualisiert werden. Obgleich die Frage nach Boden- und Wohneigentum in spezifischen Kontexten verwurzelt ist, sind wir der Ansicht, dass eine vergleichende Perspektive allgemeinere theoretische Aussagen über urbane Eigentumsverhältnisse und den dualen Prozess der Radikalisierung und Anfechtung unter den gegenwärtigen globalen Bedingungen ermöglicht.

Projektaktivitäten

Veröffentlichungen

  • Patil, Varun (2024). „Performing property: My methodological struggles with capturing snapshots of ‘urban property regimes’", in: S. J. Benjamin (Hrsg.), Cities Untold: Spatial stories, negotiations and imaginations. Tulika: New Delhi.
  • Jothe, Sanjay (2024): „Ek Nayi Ummeed (Hindi)", in: Hans Hindi Monthly, 4, New Delhi: Akshar Publication, 40–47.
  • Patil, Varun (2024): „From bureaucratic practice to competing policy: examining the durable and redistributive nature of land regularization politics in Bangalore, City", in: Analysis of Urban Change, Theory, Action 28(1-2), DOI: 10.1080/13604813.2024.2324212.
  • Patil, V.; Benjamin, S. (2024): „Porous Bureaucracies, Land and Urban Inclusion. A Perspective from Indian Cities", in: C. Bénit-Gbaffou (Hrsg.), Local Officials and the Struggle to Transform Cities. London: UCL Press, 429-454.
  • Patil, V. & Fuchs, M. (2024): „Ownership rights in practice: Property dynamics in an urban poor settlement in Mumbai – The exemplary case of Dharavi", in: Berliner Journal für Soziologie, 34 (4).
  • Fuchs, Martin (2023): „Beyond Diversity: Precarious Belonging and Religious Conjunctions - Dalits in Dharavi”, in Stausberg, M. (Hrsg.), Religion, Mumbai Style. Events-Media-Spaces, New Delhi: Oxford University Press, 62-83.
  • Renzi, B.; Fuchs M.; Linkenbach A. (2023): „Theorizing Across Traditions: Social Science as a Polyphonic Encounter“, in: B. Hollstein, H. Rosa and J. Rüpke (Hrsg.) „Weltbeziehung”. The Study of our Relationship to the World, Frankfurt: Campus, 129-156.
  • Fuchs, Martin (2022): „Metropolitaner Kontext und neue religiöse Bewegungen. Formen hinduistischer kosmopolitischer Urbanität“, in: Moderne Stadtgeschichte, semi-annual vol. 1, 98-111.
  • The Urban Popular Economy Collective, S. Benjamin et al. (2022): „Urban Popular Economies: Territories of Operation for Lives Deemed Worth Living", in: Public Culture 34 (3), 333–357, https://doi.org/10.1215/08992363-9937241.
  • Patil, Varun (2022): „Theorising Contestations over Decongesting Street Economies: Beyond Narratives of Inevitable Dispossessions and Shared Commons", in: Jha, S.; Bharat G. (Hrsg.), The Social Life of Streets in India: Histories, Contestations and Subjectivities. Bloomsbury India, 219-243.
  • Fuchs, Martin (2021): „Precarious Belonging: Religious Options and Engagements with the World in a Metropolitan Context. The case of Dalits in Dharavi (Mumbai)”, in: Religion and Urbanity Online, Berlin: de Gruyter. DOI: https://doi.org/10.1515/urbrel.11276238.
  • Schwecke, Sebastian (2021): Debt, Trust, and Reputation. Extra-legal Finance in Northern India. Cambridge: Cambridge University Press.

Vorträge

  • Benjamin, S. (2023) Video Lecture NPTL: Lecture 35 - Globalized Space Centres Cities (Public Access and Teaching)
  • Sanjay Jothe, „Digital Labor Platforms and the Rural-Urban Technological Divide in India: The Impact of the Jajmani System and the Caste System on the Rural Poor“, vorgestellt auf einer vom Indian Institute of Human Development im Juli 2023 organisierten Konferenz. 
  • Varun Patil: Teilnahme und Präsentation am Panel „Interrogating State capacity on the issue of slum housing“ auf der IIPN-Jahreskonferenz am Indian Institute of Management Ahmedabad IIM (Internationale Konferenz) (13.12.2022).
  • Varun Patil: Teilnahme und Präsentation am internationalen Workshop „City Drafting: Property-making and Bureaucratic Urbanism in South Asia“, University of Pennsylvania, Der vorgestellte Beitrag wird derzeit vom CITY Journal (Taylor and Francis) als Teil der Sonderausgabe über bürokratischen Urbanismus geprüft. (23.05.2022)

Veranstaltungen

  • Beatrice Renzi: „Religion at the crossroads of rural-urban life-worlds“, MWK-Kolloquium. (31.01.2024)
  • B. Renzi; M. Fuchs (Mitveranstalter): „Urban property regimes and citizenship in transition“, abschließender Workshop B01 Projekt. (24.-25.01.2024)
  • B. Renzi; M. Fuchs (Mitveranstalter): „Changing ownership patterns and systems of relatedness in India”, Eröffnungsworkshop B01 Projekt. (01-02.02.2023)
  • Interner Projekt-Workshop in Erfurt. (01.-02.02.2023).

Projektbeteiligte