Dekarbonisierung auf Kosten der Anderen? Eigentumsverhältnisse in der Wasserstoffwirtschaft in Südamerika

Projektbeschreibung
Beide Länder stellen gerade die politischen Weichen, um wichtige Exportländer von Wasserstoff zu werden. Ziel dieses soziologischen Teilprojektes ist es zu verstehen, inwiefern diese Weichenstellungen vorgeben, wer von diesen Projekten profitiert und wer die Kosten dafür trägt. An den konkreten Fällen soll ein Beitrag zur übergeordneten Frage gemacht werden, ob die Wasserstoffwirtschaft zur Überwindung oder zur Festigung fossiler Strukturen beiträgt.
Die Herstellung von grünem Wasserstoff ist v.a. dort kostengünstig und lukrativ, wo gute Ausgangsbedingungen für Wind- und Solarparks vorhanden sind und dafür große, (vermeintlich) wenig genutzte Landflächen zur Verfügung stehen. Argentinien und Chile gelten als Länder mit extrem hohem Wasserstoffpotential und haben beide bereits Wasserstoffstrategien verabschiedet. Chile orientiert dabei ausschließlich auf grünen Wasserstoff, Argentinien hingegen setzt auch auf Wasserstoff auf der Grundlage von Erdgas, Atomenergie und Biomasse.
In beiden Ländern werden vor Ort Bedenken hinsichtlich der Aneignung von Indigenen Territorien und kommunalem Land, der übermäßigen Beanspruchung von Grund- bzw. Trinkwasser in sehr trockenen Regionen sowie des Übergehens der Interessen lokaler Gemeinschaften sowie Naturschutzbedenken (Biodiversität, insb. Vogelschutzaspekte) geäußert.
Deshalb kommt es potentiell zu sozial-ökologischen Konflikten um solche Projekte. Es stellt sich die Frage wer von ihnen profitiert (durch Gewinne, Jobs, Renteneinkünfte, Steuern) und wer mit den Negativfolgen (Verunmöglichung bestehender livelihood-Strategien, Enteignung des Landes, Entnahme des Wassers, Entsorgung der Abfallstoffe, ökologische Belastungen) konfrontiert ist. Wie ist das Eigentum an Land, Wasser, Technologie, Infrastruktur, beteiligen Unternehmen organisiert, welche Regulierungsversuche gibt es seitens der Politik? Wofür wird der gewonnene Wasserstoff verwendet bzw. abtransportiert, welche weiteren Infrastrukturen sind dafür nötig, und trägt die Etablierung des Sektors eher zur Festigung oder zur Überwindung von fossilen Wirtschaftsformen, Mentalitäten und Infrastrukturen bei? Entlang dieser Fragenuntersucht das Projekt die Eigentumsverhältnisse und Konflikte (entlang) der Wertschöpfungskette Wasserstoff der beiden Fälle Chile und Argentinien und wie sich diese mit historisch gewachsenen (Eigentums-)Verhältnissen überlagern. Das Teilprojekt arbeitet dazu mit Methoden der empirischen Sozialforschung, insbesondere Expert:inneninterviews, der Auswertung von Presseartikeln und grauer Literatur sowie teilnehmenden Beobachtungen.
Es verfolgt auf empirischer Ebene das Ziel, das spezifische Eigentumsarrangement und die Konflikte in der Wertschöpfungskette Wasserstoff zu verstehen und dabei systematisch zu analysieren, unter welchen Bedingungen die nötigen materiellen Inputs, aber auch die Technologie, Finanzierung und Infrastrukturen zur Verfügung gestellt werden. Eine zentrale Ausgangsthese lautet hierbei, dass es zu einer Eigentumsverschiebung von öffentlich zu privat kommt, weil für den Aufbau der Wasserstoffwirtschaft viele öffentliche Subventionen und Anreize geschaffen werden, während sich die Gewinne in den Händen weniger transnationaler, vorwiegend fossiler, Konzerne konzentrieren. Dabei, so die Annahme, erfolgt ein (post-)kolonialer Zugriff auf die nötigen und vermeintlich nicht-knappen Inputs (Land, Wasser, Sonne, Wind), und die sozial-ökologischen Folgekosten werden auf vulnerable Gruppen in Südamerika sowie den öffentlichen Sektor abgewälzt. Um diesen Mechanismus zu analysieren, will das Projekt auf theoretischer Ebene das für den SFB zentrale Konzept der Eigentumskette mit weiterentwickeln, indem es dieses in Dialog mit den Analysen globaler Wertschöpfungsketten und der politischen Ökologie bringt. Außerdem wird die Rolle des Staates (in Argentinien, Chile, aber auch seitens Deutschlands und der EU) in Zeiten der Klimakrise betrachtet, der mit viel öffentlichem Geld Dekarbonisierungsimpulse setzt, die möglicherweise (und teilweise entgegen der Intention) zum Festhalten an fossilen Strukturen beitragen können.