Persona ficta? Sozialfiguren,Eigentumssubjekte und Anlagepraktiken in der Geschichte von Finanzmärkten,1950-1990

Projektbeschreibung

Das Teilprojekt untersucht den sich wandelnden Umgang mit finanzialisiertem Eigentum am Beispiel populärer Anlagepraktiken sowie die damit verbundenen gesellschaftlichen Repräsentationen von Eigentumssubjekten, sich zu Sozialfiguren verfestigen konnten. Den Fokus bildet das 20. Jahrhundert, insbesondere der Zeitraum von 1950 bis 1990.

In zeithistorischen Debatten um die Epoche „nach dem Boom“ wird die Durchsetzung eines digitalisierten Finanzmarktkapitalismus als Indiz eines paradigmatischen Umbruchs gewertet, der das Ende der fordistischen Ordnung als handlungsleitender Struktur einleitete.  Das Teilprojekt problematisiert diese Annahme einer „neoliberalen“ Wende und nimmt anhand populärer Anlagepraktiken die regional spezifische Sozial- und Kulturgeschichte von Finanzialisierung in den Blick. Das Projekt geht dabei von der Beobachtung aus, dass diese Geschichte in einem komplexen Spannungsfeld von Popularisierung und Entpersönlichung, Sichtbarmachung und Unsichtbarmachung finanzkapitalistischen Eigentums angesiedelt ist.

Diese Spannung wurde in der Konstruktion global zirkulierender sozialer Vorstellungen aufgefangen – wie etwa des „Universalgläubigers“ als einer ortlosen persona ficta (Joseph Vogl) von Anlegern und Investoren. Diese imaginativen Sozialfiguren dienten der Analyse und Kritik des Finanzmarktkapitalismus, aber auch der Darstellung von Märkten als Hoffnungsräume. Das Teilprojekt versteht die Analyse solcher Repräsentationen als Sonde in die den SFB leitende Frage nach Eigentumsvergessenheit und Eigentumsversessenheit moderner Gesellschaften. Denn nicht nur das breite Publikum, sondern auch Expert:innen und politische Akteure begegneten im Zuge zunehmender Finanzialisierung wachsenden Schwierigkeiten, die Eigentumsverhältnisse an Finanzmärkten zu durchdringen und zu verstehen.

Die entsprechende mediale, diskursive und narrative Konstruktion von Eigentumssubjekten kann als Reaktion und in Teilen auch als Gegenbewegung zu diesen Entwicklungen verstanden werden, die aber zugleich dazu führte, dass Eigentum an Finanztiteln für mehr Menschen als eine vielversprechende Option erschien. Diese Wechselwirkung begann aber nicht erst in den 1970er Jahren, sondern muss in eine längere Geschichte des Finanzmarktkapitalismus im 20. Jahrhundert eingeordnet werden, die in einer grundlegenden Spannung von Staat und Markt, von Unterordnung und Freisetzung zu denken ist.

 Diese Konstruktionsformen wird das Teilprojekt auf der Basis eines breiten Quellenfundus erforschen, für dessen Auswertung kultur-, wissens- und politikhistorische Methodiken verknüpft und interdisziplinäre Kooperationen etabliert werden. Es sieht darin einen wichtigen Beitrag zu einer Gesellschaftsgeschichte der Finanzialisierung nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei stehen Europa und insbesondere Westdeutschland im Zentrum, das im Bereich der Finanzialisierung kein Vorreiter und vom Narrativ einer nationalen ‚Sparkultur‘ geprägt war. An diesem Fall ist besonders interessant, wie Beharrungskräfte gegenüber finanzkapitalistischen Praktiken gerahmt wurden und inwieweit diese Beschränkungen – unter den Bedingungen einer postdiktatorischen Gesellschaft – überwunden werden konnten. Asymmetrisch vergleichende Blicke nach Frankreich sollen die Diversität entsprechender Eigentumspraktiken innerhalb Westeuropas verdeutlichen sowie weitere Forschungen vorbereiten, die sich mit der Integration (post)kolonialer Räume und der Verschränkung von Dekolonisierung und Finanzialisierung beschäftigen werden

Projektbeteiligte