12. April 2022

Teilen als Alternative – zu was? Teil I

Autor*in: Christoph Henning

Ambivalenzen der Sharing Economy am Beispiel von Autos

Rückzug des Eigentums heißt nicht Ende des Kapitalismus

Mit Privateigentum werden häufig positive Werte wie Freiheit und Sicherheit verbunden: Wer über Eigentum verfügt, fühlt sich unabhängig von kurzfristigen Ereignissen oder dem Einfluss anderer. Doch gibt es auch Nachteile: Wer Eigentum hat, trägt Verantwortung. Es fallen Wartungs- und Reparaturarbeiten sowie Steuern an, Kapital braucht Verwertung und profitable Absatzwege. Vor allem ist man an die Sache gebunden. Wer ein Haus oder Auto hat, ist nicht von laufenden Ausgaben befreit, im Gegenteil: Regelmäßig müssen Dächer und Leitungen erneuert, muss geheizt und renoviert werden. Autos brauchen Parkraum, Reifen, Betankung, Reparatur, „Pflege“, Steuern und Versicherungen. Eigentum fördert Dauerkonsum also eher als von ihm zu befreien. Es kann ganz schön lästig werden.

Privateigentum ist auch mit dem Kapitalismus verbunden: Profit wird von Eigentümern der Produktionsmittel angeeignet; was verbraucht wird, muss zunächst besessen werden. Kritisiert also, wer Privateigentum problematisiert, automatisch den Kapitalismus? Nein, das wäre ein Kurzschluss. Das Zurücktreten des Privateigentums kann der Kapitalismus nämlich gut verkraften: der Fischerei gehört der Ozean ebenso wenig wie brasilianischen Rinderzüchtern der Amazonasregenwald, den sie abbrennen. Umgekehrt muss man auch Dinge bezahlen, die man nicht erwirbt: ein Kinofilm gehört mir nicht wie eine DVD, ein gestreamter Musiktitel nicht wie die LP. Rechte der Titel mögen Anbietern noch gehören, doch sie können auch Dinge vermarkten, die ihnen nicht gehören, und dennoch Renten einfahren.
Privateigentum ist damit nicht verschwunden, sondern nur ‚verrutscht‘: es verliert im Alltag an Bedeutung, weil es Teil eines unvermeidbaren Interaktionsrahmens wird. Wer ihn nutzen will, muss Daten hinterlegen (selbst um Nachbarn etwas zu leihen, wie auf Nebenan.de) oder Gebühren zahlen (wie bei Couchsurfing.com). So haben gerade in Corona-Zeiten superreiche Plattformen (Amazon, Alibaba, Google, Microsoft, Meta, TikTok, Zoom) Reichtum und Einfluss vermehren können. Es ist wie eine Wiederkehr des Verdrängten: Erst jüngst verloren öffentliche Institutionen im globalen Freihandel die Möglichkeit, Abgaben auf den Handel zu erheben, obwohl sie lokalen Produzenten häufig unter die Arme greifen. Nun haben private Plattformen die Leerstelle besetzt. Sie verdienen an der Vermittlung des Zugangs zu Dingen, die ihnen nicht gehören, und verausgabter Arbeitskraft, die sie nicht bezahlen (Fuchs 2019 und Zuboff 2019 sprechen daher von Ausbeutung). Das Gewinnprinzip der digitalen Plattformen erinnert an Wegelagerei: ‚Du willst hier durch, also zahle.‘ Volkswirtschaftlich sind die Riesenverdienste der Plattformen unproduktiv: sie erheben Durchgangszölle für Vermittlungen (Nymoen/Schmitt 2021).
 

Orte des Privateigentums beim Sharing

Das Zurücktreten des Privateigentums bedeutet so keine automatische Transformation des neoliberalen Kapitalismus in friedliche und gerechte Wirtschaftsformen. Es kann den Kapitalismus auch intensivieren, indem es ihn von Hemmschuhen befreit. Aber wie ist das beim Teilen? Es steht bei Vielen für eine Überwindung des sozial ausschließenden Charakters des Privateigentums, daher der Wahlspruch „Teilen statt Besitzen“: etwas zu teilen spart Ressourcen und schont Haushaltskasse wie Umwelt. Abzugeben und Dinge miteinander statt gegeneinander zu nutzen verspricht uns geschwisterlicher zu machen. Das klingt gut, aber wie realistisch ist diese Utopie? Sahen wir nicht gerade, dass beim Teilen Privateigentum als Vermittlungsinstanz oft dabei ist und mitunter kräftig mitverdient? Es gilt also näher hinzusehen.
Der egalitäre Nimbus des Teilens stammt aus der langen, prähistorischen Phase des Menschseins, als erbeutete Lebensmittel nicht gelagert, sondern zeitnah gemeinsam verbraucht wurden (Woodburn 1982, Widlok 2017). Eigentumsstreit kam nicht auf. Nichts ist je ganz vorbei, daher ist dieses Teilen ohne Eigentum bei Festen oder beim Camping noch vertraut. Teilen in der Sharing Economy dagegen setzt Privateigentum schon voraus, das macht es kompliziert. Doch Privateigentum kann auf verschiedene Weise genutzt und geteilt werden. Daher ist zu unterscheiden, wie Privateigentum in das Teilen eingebunden ist, weil dies unterschiedliche Dynamiken freisetzt. Als Beispiel diene hier das Auto, in Teil 2 dieses Blogs dann das Sofa.
Die Negativfolie, von der Teilen sich absetzt, ist (a) die exklusive Nutzung von Privateigentum: jemand hat etwas und schließt andere beim Nutzen aus. Doch der Ausschluss ist nicht zwingend: individuelles Eigentum kann (b) von verschiedenen Menschen genutzt werden (wie beim Couchsurfen). Oder Nutzende können sich (c) das Eigentum teilen. Beispiele für ersteres wäre ein geteiltes Familienauto (b), das einer Person gehört, für zweiteres eine WG (c), die die Kosten teilt. Während Familienautos häufig gemeinsam (simultan) genutzt werden, tun Bekannte dies eher nacheinander (sequentiell). Doch Familien können nicht beliebig groß werden, und Nutzungspläne können zu Streit führen (wenn zwei es zugleich brauchen oder es zu fern parkt). Daher kann man Eigentum schließlich an Dritte auslagern (oft verbunden mit E-Plattformen). Der Vorteil sind Skaleneffekte: Ein Auto unter vier Nutzenden aufzuteilen ist komplizierter als zehn Autos unter vierzig Nutzenden oder 100 unter 400. Diese Instanz kann unterschiedliche Eigentumsstrukturen aufweisen: es gibt (d) Privatfirmen mit Gemeinwohlinteressen, manchmal aus Bürgerinitiativen hervorgegangen, oder (e) profitorientierte Privatfirmen, die viel Kapital mitbringen (etwa Autofirmen). Seltener ist zuletzt (f) die kommunale oder genossenschaftliche Trägerschaft.
 

Warum Sharing nicht gleich Sharing ist: Effekte der Eigentumsstruktur

Diese verschiedenen Eigentumsstrukturen beim Carsharing haben unterschiedliche Effekte. Da sich das Autoteilen in Kleingruppen schwer verallgemeinern lässt (das ist bei Couchsurfing und Bibliotheken der Dinge anders) und Kommunen meist in Finanznot sind, lassen wir b), c) und f) einmal außen vor. Bleiben private Anbieter, also gemeinwohlorientierte (d) und profitorientierte Car-Sharing-Firmen (e). Dies überlappt sich mit der Unterscheidung in stationsbasiertes (d) Carsharing, das sich eher in Kleinstädten findet, und „freefloating“ (ohne Station) in Großstädten, das mehr Kapital voraussetzt (e). Anders als beim Couchsurfen begegnen sich Nutzende bei (d) und (e) kaum. Die teilende Gemeinschaft gibt es nur der Theorie nach. Im Prinzip ist die Grenze zum Autoverleih klein: Eigentum Dritter wird für kurze Zeiträume gemietet. Doch praktisch ist es ein Unterschied, da man nicht mehr an den Tresen einer Verleihstation muss, sondern durch schnelle Buchung per Smartphone flexibler und die Nutzungszeit kürzer und billiger ist. (Man bindet sich allerdings an die Plattform.)
Diese Niedrigschwelligkeit ist verlockend, Effekte des Carsharings sind daher umstritten: verführt der günstige Komfort zu zusätzlichen Fahrten, oder hilft es Autos und Fahrten einzusparen und so fossile Schlüsselindustrien zu schwächen? Studien dazu konnten Unterschiede aufzeigen (BCS 2016, Schreier u.a. 2018, Öko-Institut 2018): Kleinere Anbieter sind an einer Reduktion des Verkehrs, weniger Autos, Emissionen und Blockaden des öffentlichen Raums durch Straßen und Parkplätze interessiert. Sie erleichtern den Abschied vom Auto, weil man in typischen Fällen (Fahrt zum Baumarkt, zur Badestelle, zur Großmutter) auf eines zurückgreifen kann, ohne es zu kaufen. Anbieter müssen sich finanzieren, doch das Geld bleibt Mittel zum Zweck. Nutzt man geteilte Autos anstelle eigener, kommt es zur Reduktion. Der Hebel ist die Kostenstruktur: Haben eigene Autos vor der Nutzung schon viel Geld geschluckt und halten daher zu möglichst vielen Fahrten an, kostet hier jede einzelne Fahrt extra, was zum Weniger-Fahren anreizt.
An Profit orientierte Autohersteller dagegen können kurzfristig große Flotten bereitstellen, die Geld hereinbringen, auch ohne verkauft zu werden. Mittelbar hat das weitere positive Effekte für die Industrie: es sozialisiert auch solche Menschen ins Autofahren hinein, die sich (noch) keines leisten können; es bindet Nutzende an Marken und besorgt das „Greenwashing“ nach dem Dieselskandal. Man hat es hier mit einem Zusatz an Verkehr zu tun, denn die Nutzung geht auf Kosten des öffentlichen Nahverkehrs (wer die S-Bahn verpasst, nimmt schnell ein Auto). Wo der Profit zum Zweck wird, schrumpft der ökologische Subtext zum Mittel. Wenn beim freefloating auch SUVs, Sport- oder Luxuswagen bereitstehen, dann stachelt das etwa auch dann zum Fahren an, wenn eigentlich keine Notwendigkeit besteht – man macht Spritztouren nur aus Laune, um ein Modell auszuprobieren oder um anzugeben. Das hat den (durchaus intendierten) Effekt, dass der Verkehr wieder ansteigt. 
Dieser Vergleich veranschaulicht, dass Teilen und Privateigentum sich nicht ausschließen, Teilen also nicht per se eine Alternative zum Eigentum ist. Doch Teilen ist nicht gleich Teilen. Manche Praktiken beschränken die Macht des Privateigentums: Stationsbasierte Carsharing-Firmen bewahren die Gebrauchswertversprechen privater PKW – Flexibilität und Unabhängigkeit –, ohne Privateigentum zum profitorientierten Fetisch (das Auto als Distinktions- und Statussymbol und heiliges Blech der Verkehrspolitik, vgl. Canzler/Knie 2018) weiterwuchern zu lassen. Doch gibt es Gegenbeispiele, die Verkehr und Autokonsum eher vermehren. Um die Unterschiede zu erfassen, ist es zentral, Eigentumsstrukturen in den Praktiken des Teilens und ihre Auswirkungen auf das Verhältnis der Nutzenden zu den Autos zu differenzieren, wie die Grafik abschließend festhält. Teil 2 dieses Blogs wird den Blick dann vergleichend auf das Teilen von privatem Wohnraum richten.
 

Privateigentum und Praktiken des Teilens

Eigentums- struktur a) Privateigentum individuell b) Privateigentum individuell c) Privateigentum Gruppe d) Privateigentum Kleinfirma e) Privateigentum Großfirma f) Kommunal-eigentum
Praxis des Teilens

(-) Jede(r) für sich

Kleingruppe teilt (Familie) Kleingruppe teilt (WG) Teilen im Stadtteil Teilen in Großstadt Teilen in Kommune
Sozialer Effekt beim Auto Ausschluss (wie d, nur instabil) (wie d, nur instabil) Verkehr und Autos reduziert Verkehr und Autos nehmen zu (wie d, nur seltener)