Wem gehört das Fundament? Infrastrukturordnungen und die Neuverhandlung des Öffentlichen

Projektbeschreibung
Damit tragen wir der Erkenntnis Rechnung, dass Infrastrukturen wie die Wasser- oder Gesundheitsversorgung komplexe Systeme sind, die sich durch die Verkettung von Objekten, Ressourcen, Dienstleistungen und Governance-Strukturen mit gestuften Nutzungs-, Verfügungs-, Verwertungs- und Veräußerungsrechten auszeichnen. Diese Ketten können entlang ihrer Knotenpunkte proprietär divers organisiert sein und ggf. sind nur einige Punkte umkämpft oder überhaupt öffentlich verhandelt.
Infrastrukturen sind zudem ein moving target: Nach Jahrzehnten der Privatisierung, Kommodifizierung und austeritätsbedingten Unterfinanzierung haben zuletzt neue Dynamiken an Gewicht gewonnen. Dies sind insbesondere erfolgreiche (Re-)Munizipalisierungen auf städtischer Ebene, die seit der Pandemie diskutierte Systemrelevanz sozialer Infrastrukturen sowie europaweite und länderspezifische Rechtsnormen zum Schutz kritischer Infrastrukturen angesichts sich wandelnder Sicherheitsinteressen.
Die wissenschaftliche Befassung mit Infrastrukturen konzentriert sich bislang einerseits auf übergreifende Konzepte für eine öffentliche Daseinsvorsorge (z.B. Fundamentalökonomie, Infrastruktursozialismus), die konkrete Infrastrukturen nur beispielhaft in Bezug nehmen, während andererseits das Feld der Einzelfallstudien zu Infrastruktursystemen kaum zu überblicken ist. Zugleich mangelt es an Analysen, die das Verständnis von Infrastrukturen und den durch sie vermittelten Leistungen im Vergleich schärfen sowie der für übergreifende wohlfahrtsstaatliche Ansätze so zentralen Frage der Interdependenz unterschiedlicher Infrastruktursysteme Rechnung tragen. Im Lichte der skizzierten Dynamiken bei gleichzeitiger Sensibilität für den unsichtbaren ‚Untergrund‘ komplexer Infrastrukturen sucht das Teilprojekt diese Forschungslücke entlang von zwei Fragenkomplexen zu bearbeiten:
(1) Infrastrukturdiskurse: Wie werden Infrastrukturen verhandelt? Welches Staatsverständnis zeichnet sich ab, (wie) wird Eigentum thematisiert? Wie werden staatliche, privatwirtschaftliche und zivilgesellschaftliche Beiträge adressiert?
(2) Infrastrukturordnungen: Wie sind Infrastruktursysteme organisiert? Welche Eigentumsformen treten zu Tage und welche Rolle spielen nicht proprietäre Lösungen? Wie greifen unterschiedliche Systeme ineinander, wie werden sie priorisiert und wie strukturieren sie ihrerseits gesellschaftliche Eigentumsordnungen?
Das Teilprojekt setzt die Forschung in Spanien und Großbritannien fort, als drittes Untersuchungsland kommt Deutschland hinzu Der Schwerpunkt der empirischen Analyse liegt auf den Infrastrukturordnungen, deren Analyse anhand von sechs Infrastrukturbereichen und ihren Interdependenzen erfolgt: Diese umfassen die materiellen Infrastrukturen in den Bereichen Wasser und Energie, soziale Infrastrukturen in der Kinderbetreuung und Altenpflege sowie die Bereiche Gesundheit und Ernährung, die durch das Zusammenspiel materieller Infrastrukturen und sozialer Dienstleistungen charakterisiert sind. Methodisch operiert die Forschung mit teilnehmenden Beobachtungen, Fokusgruppengesprächen, Expert:inneninterviews und Dokumentenanalysen. Das Projekt trägt dazu bei, durch die Brille der Infrastrukturen der Vielgestaltigkeit von Eigentumsformen in ihren komplexen Verkettungen nachzugehen und zugleich die Bedeutung nicht-proprietärer Ordnungsprinzipien (z.B. soziale Rechte, Gemeingüter oder Open Access) zu analysieren. Von besonderem Interesse ist dabei die Frage, inwiefern nach Jahren der Privatisierung und Kommodifizierung (auch) eine kritik- und krisengetriebene neue Staatstätigkeit zu beobachten ist.