Die kleinste lizenzierbare Einheit: Schrumpfen oder Multiplikation von Eigentumsansprüchen?
Marktkonzentration gehört in der Medienbranche zum Tagesgeschäft. Kürzlich übernahm Amazon für die stolze Summe von fast 8,5 Milliarden Dollar das berühmte Hollywood-Studio Metro Goldwyn Mayer (MGM). Zum erworbenen Rechtekatalog zählen zahlreiche Filme (wie die „James Bond“-Reihe) und Serien. Diese kann Amazon nun auf seiner eigenen Streaming-Plattform Prime anbieten oder anderen Plattformen lizenzieren.
Ähnliches Spiel in der Musikindustrie: Berühmt ist etwa Michael Jacksons Kauf der Beatles-Rechte in den 1980er Jahren. Auch Justin Timberlake, Bruce Springsteen oder Bob Dylan veräußerten kürzlich ihre Rechte katalogweise. Gerade wenn Musikgrößen den Zenit ihrer Karriere bereits hinter sich haben, bringt das Geschäft mit den Rechtepaketen einen gewissen Komfort: Sie erhalten auf einen Schlag einen Haufen Geld und brauchen sich um die Rechte-Auswertung nicht mehr zu kümmern.
Nicht zu vergessen das Verlagswesen: Gerade kleine, spezialisierte Firmen, die eine wertvolle Nische bedienen oder zukunftsträchtige Technologien entwickeln, sind für große Medienunternehmen von Interesse (siehe die Übernahme des US-amerikanischen Medienformats Politico durch Springer). Das gilt auch für das wissenschaftliche Verlegen: Ende 2021 übernahm der akademische Großverlag Wiley den Open-Access-Dienstleister Knowledge Unlatched, um sich Expertise und Wettbewerbsvorteile im wachsenden Open-Access-Geschäft zu sichern.
Portionierte Werke: Auf der Suche nach der kleinsten lizenzierbaren Einheit
Spektakuläre Übernahmen von Medienhäusern und teure Katalog-Deals sind Grundlage für die Akkumulation von Rechten, die sich dann durch bestehende oder zukünftige Ausspielwege maximal auswerten lassen – je größer der Katalog, desto mehr Optionen bieten sich zur Auswertung. Das ist allerdings nur das eine Ende des Spektrums: Der Maximierung ins Große läuft eine Entwicklung entgegen, die sich als Maximierung ins Kleine bezeichnen lässt. Man könnte auch sagen: die Suche nach der kleinsten lizenzierbaren Einheit. Maßgeblich dafür sind digitale Kopier-Technologien, die es erlauben, Manifestationen eines Werks von seinem Träger zu lösen. Illustriert am Beispiel Musik: Früher waren Musikstücke, etwa auf Schallplatten, gebannt und nur schwer davon zu lösen. Kopien, beispielsweise von Platte auf Kassette, bedeuteten Klangeinbußen. Umständlich war das Hantieren mit den Kassetten auch. Der Materialzwang der Tonträger verschaffte den Urheber*innen eine gewisse Kontrolle.
Das änderte sich mit CD und CD-Brennern, spätestens aber mit MP3s, mobilen Festplatten und dem Internet. Fortan ließ sich der Inhalt ganz einfach von seinem Träger lösen und in Kopie ohne Klangverlust weiterverbreiten. Digitale Kopien entwickelten ein Eigenleben, das sich mit Kopierschutz-Technik nur unzureichend wieder einhegen ließ. Für die Musikindustrie verursachten MP3s einen Schock, den sie erst durch das bezahlte Streaming wieder kurierte. Der Vorzug für die Konsument*innen: Dank Filesharing brauchten sie nicht mehr teure Alben und Compilations kaufen, wenn sie sich eigentlich nur für einen einzigen Song interessierten. Man war nicht mehr an das Album-Format mit seinem Materialzwang gebunden. Gleichzeitig bot die digitale Kopie aber auch der Musikindustrie Vorzüge: Das Digitale eröffnete einen Raum für neue Lizenzmodelle, die nicht das gesamte Stück, sondern nur Teile daraus betreffen. Die Einheiten für die Lizenzierung schrumpften: Stücke ließen sich von nun an portionsweise lizenzieren, vermarkten und auswerten.
Samples, Stems, Klingeltöne
Etwa beim Sampling, bei dem sich Ausschnitte eines Stücks („samples“) zu neuen Stücken zusammensetzen lassen. Geschäftstüchtige Labels erkannten früh das Potential, mit der Lizenzierung einzelner Sound-Samples die Einkünfte aufzubessern. Ein anderes Beispiel sind die sogenannten „Stems“ im DJ-Bereich: Das sind einzelne Musik-Spuren von Techno- oder House-Stücken, die sich über einschlägige Shops separat kaufen lassen (zum Beispiel die Bass-, Hauptmelodie- oder Gesangs-Spur). Mit DJ-Controllern können die Stems dann kreativ ineinander gemischt werden.
Noch einträglicher war das Geschäft mit den Klingeltönen für Handys: Zwischen 2003 und 2013 gab es die eingängigsten Refrains aus den Charts – etwa im berüchtigten „Jamba Sparpaket“ – als simple Klingelton-Melodien, später dann auch polyphon, zu kaufen. Auch hier galt das Prinzip: Nicht das Stück als Ganzes, sondern nur Auszüge daraus werden vermarktet. Das Werk wird zerlegt und in kleinen Portionen weiterlizenziert.
Wissenschaftliche Aufsätze
Das Prinzip der Portionierung ist nicht auf die Musikindustrie beschränkt, sondern findet auch in anderen Branchen Verwendung: Wer heute einen wissenschaftlichen Aufsatz sucht, braucht sich bekanntlich nicht gleich den ganzen Sammelband oder die gesamte Zeitschriften-Ausgabe kaufen. Wissenschaftsverlage bieten in ihren Online-Shops Aufsätze, Kapitel, teils sogar einzelne Abschnitte separat an (und das oft auch zu saftigen Preisen). Relativ neu ist auch die Möglichkeit, bei Sammelwerken einzelne Artikel schon vor der Buch-Veröffentlichung digital zu erwerben, wobei sich die digitalen Versionen verändern können. Das bietet beispielsweise Springer Nature als sogenannte „Living Reference Works“ an.
Bei Open-Access-Publikationen, die nicht die Leser*innen sondern die Autor*innen beziehungsweise deren Institutionen bezahlen, sind Gegenstrategien zu erkennen. Manche Wissenschaftsverlage (wie der renommierte Universitätsverlag MIT Press) erschweren auf ihren Websites den Zugriff auf das gesamte Open-Access-Buch, obwohl eigentlich offen lizenziert und kostenlos zugänglich. Interessierte können die einzelnen Kapitel zwar herunterladen, müssen sie aber auf dem heimischen Rechner mühsam wieder zum Buch zusammenstöpseln. Ein PDF des gesamten Buchs sucht man dort vergeblich. Vermutlich soll diese künstliche Hürde Interessierte dazu bewegen, eine kostenpflichtige Druckausgabe des Buchs zu bestellen – besonders Genervte dürfte sie eher zu den illegalen Schattenbibliotheken treiben.
Presse und Belletristik
Bei Presseverlagen liegen die Dinge komplizierter: Journalistische Texte lassen sich zwar problemlos einzeln veröffentlichen. Allerdings imitieren die Geschäftsmodelle der meisten Presseverlage mit den Abonnements die alten Materialzwänge der Printwelt. Die Washington Post offerierte kürzlich sogar mit 50 Jahren Laufzeit ein besonders langfristiges Abo. Ohne Abo stößt man als Leser*in online schnell an Bezahlschranken. Umgehungsstrategien wie der Bib-Bot schaffen kurzfristige Abhilfe, können das systemische Problem aber nicht in Gänze lösen. Moderne Bezahlmodelle, über die sich einzelne journalistische Texte erwerben ließen, sind trotz der Nachfrage bis dato eine Seltenheit in der Pressewelt. Wenn es sie gibt, ist die Bedienung oft so umständlich programmiert, dass potentielle Konsument*innen abgeschreckt werden. Blendle beispielsweise bietet Pressetexte im originalen Print-Layout der Zeitungen und Zeitschriften an. Die Texte können zwar für einen ordentlichen Lesemodus ausgewählt werden, enthalten dann aber oft Fehler und unerwartete Umbrüche im Layout. Auch die Suchfunktion ist rudimentär.
Bei Belletristik und Sachbüchern verlassen sich die Verlage im Wesentlichen auf die bewährten Formate: Dominant ist das gedruckte, als Einheit abgeschlossene Buch sowie das eBook als dessen digitale Entsprechung (oftmals durch DRM-Technik verriegelt). Auskopplungen und Auszüge sind kaum gebräuchlich, der Materialzwang der Einheit Buch wird bei den Leser*innen aber auch nicht als störend empfunden. Das Buch gilt als „Kulturgut“.
Memes und GIFs
Lizenzfreudig bis hinunter auf die Ebene von Mikro-Materialien agiert die Unterhaltungsbranche. Mit der digitalen Vernetzung durch das Internet sind Memes und GIFs entstanden, die einzelne Bilder, Bildsequenzen oder kurze Videos zur Kommunikationsform machen. Als Quelle dienen oftmals Filme oder TV-Sendungen, mit obskuren, ikonischen oder aussagekräftigen Szenen, mit denen Nutzer*innen Gefühle, Stimmungen und Reaktionen treffend ausdrücken.
Zunächst war die Meme-Kultur ein lizenzfreies Feld, das unbemerkt vom Mainstream vor allem in subkulturellen Internet-Foren vor sich hin dümpelte. Heute werden zigtausende Memes und GIFs – als Ergänzung zu den beliebten Emoticons – in Messengern und Kommentarfunktionen auf Sozialen Medien als Antwort-Vorschläge eingeblendet. Bereitgestellt werden sie von Aggregatoren (wie dem von Facebook aufgekauften GIPHY), die für die Nutzung der Ausschnitte Lizenzen von den rechtehaltenden Firmen erwerben. Unter diesen wiederum dürften sich reihenweise Produktionsfirmen aus Film und Fernsehen befinden, die eine neue Verwertungsmöglichkeit für kurze und kürzeste Ausschnitte ihres Rechtekatalogs gefunden haben – ganz unabhängig von ihren eigentlichen Geschäftsmodellen.
Non-Fungible Token (NFT)
Noch kleinteiliger ist das Geschäft mit Non-Fungible Tokens (NFTs), die quer zu Immaterialgüterrechten (wie dem Urheberrecht) liegen. Das Prinzip: Ein NFT ist – sichergestellt durch einen absurd hohen Stromverbrauch – ein unveränderbares und dadurch fälschungssicheres digitales Zertifikat, in das Eigentumsinformationen eingeschrieben sind. Das macht es möglich, dass Leute das Eigentum an einer Aufnahme, einem digitalen Kunstwerk, einem Meme, GIF oder sogar einem Tweet erwerben (und wieder veräußern). Für große wie kleine Künstler*innen schließen NFTs durch ihre direkte Vermarktungsmöglichkeit eine Lücke in der Lizenzierung: Denn via NFT kann (digitale) Kunst in beliebig definierter Auflage eigentumsförmig gemacht und dadurch gehandelt werden – als einzigartiges Unikat oder in einer Auflage von 1.000 Stück, für hohe wie für niedrige Beiträge gleichermaßen. NFTs legen durch ihre Konfiguration gewissermaßen ihren eigenen Materialzwang fest.
Allerorten wird in NFTs investiert. Der Hype führt dazu, dass sich sogar die GEMA in Stellung bringt. Auf ihrer Website schreibt die Verwertungsgesellschaft: „Collector- und Audio-Token sollen auf diese Weise Musik wieder besitzbar machen – ähnlich wie einst Vinyl-Schallplatten oder CDs. So entstehen digitale Werte, die von Musikfans, Sammlern und Krypto-Enthusiasten erworben werden können.“ Man hat also nicht nur die Sammler*innen mit dem ganz großen Budget, sondern auch die mit kleinem Geldbeutel im Auge, die ähnlich wie bei Merchandise-Produkten durch NFTs ihren Stars nah sein wollen. Das weiß auch die Sport-Unterhaltungsbranche, die ihr Material kräftig als NFT zweitlizenziert: So bietet die US-amerikanische Basketball-Liga NBA Aufnahmen von Spielzügen als NFTs an. Und die deutsche Bundesliga zieht nach. Vermarktet werden die digitalen Eigentumszertifikate wie die früheren Sammelkarten mit Strategien und Rhetorik der Verknappung.
Wie fein lassen sich Werke tranchieren?
Schaut man nur auf die Konzentration und Akkumulation von Rechten, gerät aus dem Blick, wie sehr die Medienindustrie Lizenzmodelle bemüht, die Auskopplungen, Ausschnitte und eigentlich Einzelnes verwertbar machen. Beide Entwicklungen – die Maximierung ins Große wie ins Kleine – sollten gemeinsam gesehen und in ihrem Zusammenhang analysiert werden. Der branchenübergreifende Überblick deutet an, wie kreativ neue Lizenzpraktiken erarbeitet, verfeinert und erweitert werden, die Einzelteile von Werken – oder auch Inhalte ohne urheberrechtliche Schöpfungshöhe – verwertbar machen.
Die maximale Rechteverwertung ist dabei nicht auf die digitale Welt begrenzt, sondern ein geradezu paradigmatischer Mechanismus des Kapitalismus. Ein interessantes Vergleichsfeld wäre die Maximierung der Rendite im Baugeschäft durch die geschickte Ausnutzung des verfügbaren physischen Raums: Wohnungsbau-Unternehmen parzellieren in nachgefragten Gegenden ganze Häuser in Ein-Zimmer-Appartments. Andere bauen wegen des teuren Bodens Wolkenkratzer in die Höhe – oder verdichten Wohnraum wie in London nachträglich in die Tiefe. Angebote wie AirBnb ermöglichen es Privatleuten, leerstehende Zimmer an fremde Personen zu vermieten. Und auf Plattformen wie Spacebase ist sogar das stundenweise Vermieten des eigenen Wohnraums machbar, etwa für Foto-Shootings.
Die Grenzen der Lizenzierbarkeit haben sich durch die digitale Vernetzung in den vergangenen Jahren sichtlich nach unten verschoben. Wo die unterste Grenze verläuft, ist bei medialen Werken stark an technische Möglichkeiten gebunden: Wie unabhängig lässt sich ein Inhalt von seinem Träger machen? Digitale Werkzeuge haben die historisch einst so stabilen Werk-Träger-Verbindungen brüchig gemacht, was den Nutzer*innen neue Möglichkeiten und den etablierten Verwertungsfirmen Kontrollverluste bescherte. So wurde jeder qualitative Schub in der technischen Reproduzierbarkeit – Buchdruck, Radio, Internet, etc. – begleitet von Versprechen, Werke sowie deren Urheber*innen und Konsument*innen von ihren Zwängen zu liberalisieren. Dass sich diese Versprechen immer nur solange einlösen lassen, bis industrielle Verwertungsgefüge lückenlos geschlossen wurden, ist ein empirischer Befund – der zwar nicht so laut erzählt wird, aber mindestens genauso wichtig ist.
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