Über die Natur der letzten Verfügung von Frauen in der Frühen Neuzeit
Part III of the blog series “Verfügung über Dinge”
In diesem dritten Teil der Reihe „Verfügung über Dinge: Historische und aktuelle Perspektiven des Eigentums im Wandel“ geht es um die Grenzen und Freiheiten der Verfügung von Frauen in der Frühen Neuzeit in Europa. Was waren ihre Möglichkeiten, über Eigentum, Besitz und Erbe zu verfügen? Auf welche Weisen nutzten sie bestehende Regelungen und Gesetze für sich oder deuteten sie sie für ihre Zwecke um?
Die letzte Verfügung, das Testament, war in der frühen Neuzeit eingebettet in ein „Geflecht der Ungleichheiten“ (Dilcher 1997, S. 72) und in mehrere sich überlagernde Gesetzessysteme, etwa das Rechtsgesetz in seiner je zeitlichen und lokalen Fassung (beispielsweise Reichs-, Stadt- und Landrecht) und kirchliche Gesetze. Die freie Verfügung über das Eigentum war darüber hinaus geprägt vom Wohnort, vom gesellschaftlichen Stand, der Geschlechts- und Religionszugehörigkeit, dem Familienstand und Traditionen innerhalb der Familie. Aber betraf diese ‚freie Verfügung‘ in der Regel nicht nur männliche, wohlhabende Subjekte? Hier lohnt ein genauerer Blick zurück: Er legt die selbstverständliche Handlungs- und Verfügungsmacht von anderen Eigentumssubjekten offen und gibt ein anderes Bild der Frühen Neuzeit.
Für eine Untersuchung der Grenzen der Verfügbarkeit sind deshalb besonders die „letzten Verfügungen“ in Form von Testamenten interessant. Sie geben Aufschluss darüber, über welche Gegenstände eine Person überhaupt frei verfügen konnte. Was wurde an wen und mit welcher Begründung weitergegeben? Und was fiel aufgrund anderer Regelungen oder Motive an andere Personen? Nicht nur die Grenzen der Verfügbarkeit über das eigene Eigentum, sondern auch die Handlungsspielräume und der kreative Umgang mit Regeln rücken bei einer näheren Beschäftigung mit Erben und Erbschaften in den Fokus. Nach wie vor weit verbreitete und reproduzierte Narrative von Frauen als lediglich passive, eigentumslose Subjekte in der Frühen Neuzeit lassen sich anhand der gelebten Praxis in Frage stellen und anfechten (vgl. Carius 2012). Ebenso wie männliche Erblasser nutzen auch Frauen ihren Verfügungsspielraum, suchten, ihn auszuweiten oder bestehende Regelungen zu umgehen (vgl. Cremer 2021).
Überlegungen zur Sicherung des Überlebens der Familie wurden von beinahe allen Gesellschaftsmitgliedern der frühen Neuzeit geteilt. Dies schloss die Regelung des Nachlasses und Verfügungen über das Eigentum im Hinblick auf die Zukunft ein. Aus diesem Grund schlägt Natalie Zemon Davis vor „das Familienleben der frühen Neuzeit in Begriffen von Strategie, Identität und Ordnung zu charakterisieren, zumindest als Trend – wenn nicht als Faktum -, der alle Familien betraf und ein zunehmend überzeugendes kulturelles Ideal für Familien oberhalb der Stufe der ganz armen bildete.“ (Davis 1986, S. 19). Diese Intention der Überlebenssicherung der Familie und ihrer einzelnen Mitglieder – ungeachtet deren Geschlechtszugehörigkeit – und die Zukunftsperspektive der Eigentümer:innen zeigt sich besonders deutlich an der Praxis des Vererbens, denn die geregelte Weitergabe von materiellen und nicht-materiellen Gütern kann als Ausdruck dieser Sorge um die Nachkommen und als ein Bemühen der Absicherung verstanden werden. Dass dieser Fokus auf das Planen und die Absicherung für die Zukunft auch eine normative problematische Seite im Zusammenhang mit Kolonialismus und vermeintlichen Zivilisationsstufen hatte, wird von Anna Möllers im nächsten Teil dieser Blog-Reihe ausgeführt.
Was konkret zum frei verfügbaren Erbe gehörte, war negativ bestimmt (vgl. Zedlers Universal-Lexicon von 1734) und diese Bestimmung betraf in hohem Maße Frauen, denn sie waren es, in deren Eigentum sich die Gerade, die Morgengabe und der Muß-Theil befanden: „Die Gerade wurde als eine Reihe von Gegenständen definiert, die als weibliches Eigentum galten und aus dem Nachlass herausgenommen werden sollten, bevor die allgemeinen sächsischen Verteilungsgesetze in der Erbfolge Anwendung fanden. Traditionell bestand das, was nach dieser Regel zu teilen war, zum Teil aus Werkzeugen, die gewöhnlich benutzt wurden, und allen beweglichen Gegenständen, die von Frauen beherrscht wurden und für die Hausarbeit notwendig waren. Dazu gehörten auch solche Gegenstände, die Frauen hergestellt hatten, sowie alle Textilien im Haus, Kleidung, Matratzen, Schmuck, Spiegel und Kronleuchter, aber auch Bildnisse weiblicher Familienmitglieder und generell der weibliche Anteil am Vieh.“ (Cremer 2021: 5, Übersetzung AS)
So war bereits zu ihren Lebzeiten das Eigentum von Frauen einer Reihe von Kategorien, wie etwa der „Gerade“ zugeordnet, welche die Verfügungsmacht über das Eigentum festlegten, da die Gerade stets dem nächsten weiblichen Familienmitglied zufiel. Zugleich eröffneten diese Kategorien aber auch Handlungsspielräume, indem Gegenstände von der Erblasserin „umdefiniert“ wurden und somit aus der Geraden herausgelöst und Teil der (freier verfügbaren) Erbmasse wurden – oder Gegenstände des Haushalts als Teil der Geraden gefasst wurden. Annette Cremer weist hier als Beispiel auf Herzogin Auguste Dorothea von Schwarzburg (1666-1751) hin, die aus dem Nachlass ihres Ehemannes u.a. ein Mikroskop vor Gericht erstritt, mit der Begründung, dass das Mikroskop einen Spiegel besaß und Spiegel der weiblichen Sphäre des Haushalts zugeordnet waren (vgl. Cremer 2021).
Wir sehen hier, dass die unterschiedlichen Kategorien des Eigentums gleichsam die Art und Weise der Verfügung festlegten. Was aber welcher Kategorie tatsächlich zugerechnet wurde, war erwiesenermaßen Teil von Aushandlungs- und Gerichtsprozessen und stillschweigenden Umgehungspraktiken.
Karin Gottschalk bezeichnet die Gerade auch als „Sonderrecht oder Privilegien (iura singularia), die den Frauen […] verliehen worden seien. Infolgedessen erhalte etwa die Tochter die Gerade ihrer Mutter nicht als Erbin, sondern als Niftel (nächste Verwandte mütterlicherseits), d.h. aufgrund ihrer Position im Koordinatensystem der verwandtschaftlichen Linien“. (Gottschalk 2013, S. 96, Kurs. A.S.) Was die Mutter darüber hinaus an ihre Tochter weitergab und im Rahmen ihres Testaments verfügte, fiel dann in die Kategorie des Erbes.
Alle diese Güter waren durchzogen von familiären Banden: Obgleich die individuelle Eigentümerin bestimmte Verfügungen über Dinge treffen konnte und sogar versuchen konnte, die Dinge umzudefinieren und anderen Kategorien zuzuordnen, um somit anders über sie verfügen zu können, war es niemals ihr alleiniges Eigentum, sondern entweder Teil des traditionellen Familieneigentums oder latent das zukünftige Eigentum des nächsten weiblichen Familienmitglieds. In gewisser Weise wohnte dem persönlichen Eigentum dadurch immer auch eine mit anderen Familienmitgliedern latent geteilte Eigentümerschaft inne, die sich auch auf die Verfügung auswirkte indem sie den Modus der Weitergabe vorgab. So gehörte der Eigentümerin weder vollständig, was sie zu ihren Lebzeiten erarbeitete und herstellte, da es Bestandteil der Geraden war, noch hatten ihre übrigen Familienmitglieder besondere Entscheidungsmacht über dieses Eigentum. In gewisser Weise wohnte den Dingen selbst die Verfügungsmacht inne, bestimmt durch ihre Gegenständlichkeit (z.B. beweglich, unbeweglich), Beschaffenheit (z.B. Materialität), den spezifischen Gebrauchskontext und die Form der Aneignung (z.B. Kauf, Geschenk, Teil der Mitgift).
Die Handlungsmacht der Erblasser:innen und Erb:innen war somit einerseits geprägt durch eine Vielzahl von äußeren Gesetzen und Regelungen, andererseits aber auch durch den jeweiligen Gegenstand selbst. Seine Beschaffenheit hatte maßgeblichen Anteil daran, auf welche Weise er weitergegeben werden konnte und wie nicht. Dies wurde auch durch äußere Zuschreibungen Dritter geprägt und beeinflusst. Die Gesetze und Regeln hinsichtlich der Weitergabe beinhalteten stets eine Dimension staatlicher, gesellschaftlicher, kirchlicher und/oder familiärer Macht. Im Kontext des Kolonialismus bedeutete dies u.a. die gewaltsame Beschränkung oder Verwehrung der subjektiven Handlungsmacht über das Eigentum.