The Dynamics of the Reproductive Economy: Forms of Appropriation in Global Fertility Chains

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Die Nutzung kommerzieller reproduktionstechnologischer Verfahren hat sich seit den 2000er Jahren global ausgebreitet. Inzwischen wird von einer dritten Phase der Reproduktionsökonomie gesprochen, die durch eine globalisierte Verflechtung von reproduktionsmedizinischen Angebotsstrukturen und die Entstehung neuer privatunternehmerischer Geschäftsmodelle sowie Prozessen der Finanzialisierung gekennzeichnet ist. Vor diesem Hintergrund kommt es zu beschleunigten und komplexen Dynamiken der proprietären Aneignung von Körperstoffen und Generativität im Bereich der Reproduktionsmedizin: Nicht nur breiten sich Praktiken der so genannten künstlichen Befruchtung (IVF) immer mehr aus, sondern auch Samen-, Eizell- und Embryonentransfers und Leihschwangerschaften. Bei diesen Verfahren werden reproduktive Körperstoffe Dritter - in aller Regel gegen Bezahlung - von nachfragenden Personen oder Paaren mit unerfülltem Kinderwunsch in Anspruch genommen. Um diese Angebote herum entsteht eine ganze Dienstleistungsbranche – Beratungseinrichtungen, Klinken, Vermittlungsagenturen, Gametenbanken, Versicherungen usw. - die arbeitsteilig und ‚kettenförmig‘ oftmals über den Globus hinweg operiert.
Im Zentrum des philosophisch-soziologischen Forschungsprojekts steht die Frage, wie Formen der Aneignung menschlicher Generativität im Kontext der Globalisierung und Finanzialisierung der Reproduktionsökonomie miteinander verschränkt sind. Das Teilprojekt knüpft an aktuelle Forschungen zu ‚globalen Fertilitätsketten‘ an und fragt, wie sich die dort formulierten Befunde aus einer eigentumstheoretischen Perspektive empirisch und theoretisch weiterentwickeln lassen. Dabei interessieren wir uns zum einen für die Untersuchung von privatwirtschaftlichen Formen des Zugriffs auf reproduktive Körperstoffe und Kapazitäten. Zugleich greifen wir auf den für das Projekt bereits in der ersten Förderphase zentralen Begriff der Propertisierung zurück, der mittels einer theoretisch-begrifflichen Exploration des Konzepts der Aneignung weiter spezifiziert werden soll. Ausgangspunkt der Untersuchung im soziologischen Arbeitsbereich des Projekts sind reproduktionsmedizinische Dienstleistungen, die global agierende Unternehmen (z.B. Google, Deutsche Bank usw.) ihren Mitarbeiter*innen seit einigen Jahren anbieten. Prominent ist hier vor allem das so genannte Social Egg Freezing, bei dem junge Frauen ihre Eizellen zum Zweck einer eventuell späteren IVF-Behandlung einfrieren lassen. Wir vermuten, dass reproduktionsmedizinische ‚employee benefits‘ dazu beitragen, (vor allem weibliche) Generativität im Lebensverlauf flexibel in Abstimmung mit Produktivitätserfordernissen gestaltbar zu machen. Zugleich stützen die genannten Angebote die Ausweitung und Verkettung reproduktionsmedizinischer Dienstleistungen und Unternehmen und tragen somit zur Globalisierung der Reproduktionsökonomie bei. Dieser Zusammenhang soll ländervergleichend (USA/Deutschland) entlang von Fallstudien qualitativ-empirisch und theoretisch-konzeptionell erforscht werden. Der philosophische Arbeitsbereich widmet sich einer philosophie- und begriffsgeschichtlichen Analyse des Aneignungsbegriffs, um diesen für eine systematische Rekonstruktion von Propertisierungsprozessen in der dritten Phase der Reproduktionsökonomien fruchtbar zu machen. Dabei werden heuristisch fünf Formen von Aneignung unterschieden, deren Bedeutung im Kontext globaler Fertilitätsketten erforscht wird: Aneignung durch Arbeit, technische, juridische, epistemische und affektive Aneignung. Auf Basis aktueller sozialphilosophischer Debatten um das Verhältnis von Enteignung und Ausbeutung sowie einschlägiger sozialwissenschaftlicher Untersuchungen zur Reproduktionsökonomie soll das gesellschaftstheoretische Potenzial des Aneignungsbegriffs bestimmt werden. Das Teilprojekt verspricht insgesamt, einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des Strukturwandels des Eigentums hinsichtlich der Grenzverschiebungen zwischen verschiedenen Arenen des Eigentums zu leisten.