Ein weiteres Umgehungsgeschäft: die in iure cessio
Part II of the blog series “Verfügung über Dinge”
Außer der manciaptio kennt das römische Recht noch ein weiteres seltsames Ritual zur Veräußerung von Sachen und Rechten: die gerichtliche Abtretung (in iure cessio). Hier treten beide Parteien vor den römischen Gerichtsmagistrat. Der Erwerber behauptet auch in diesem Fall einseitig sein Recht an dem zu übertragenden Gegenstand. Der Veräußerer schweigt oder bekundet ausdrücklich, dass er das Objekt nicht seinerseits in Anspruch nimmt. Daraufhin spricht der Magistrat es dem Erwerber zu.
Die Ähnlichkeit zur mancipatio frappant: Hier wie dort stellt der Erwerber die Behauptung auf, die eigentlich erst noch zu erwerbende Sache gehöre ihm schon; und der Veräußerer nimmt dies widerspruchslos hin. Die Behauptung des Erwerbers entspricht derjenigen, die er auch in einem Prozess um das Eigentum an einer Sache oder Erbschaft aufstellen müsste. Während sie bei der Manzipation in ein außergerichtliches Umfeld verlagert ist, hat sie bei der in iure cessio ein prozessuales Gepräge und wird dort angebracht, wo auch ein gerichtlicher Streit um einen Gegenstand beginnt: vor dem Gerichtsmagistrat.
Das Schweigen des Veräußerers ebnet hier den Weg zu einem regelrechten Urteil: Weil sich der Kontrahent nicht verteidigt, weist der Magistrat das Objekt dem Erwerber zu. Bei der in iure cessio tritt damit noch deutlicher hervor, was auch die mancipatio kennzeichnet: Das Ritual verdeckt, dass es sich überhaupt um einen Erwerbsvorgang handelt. Das zu übertragende Recht erscheint nicht als Gegenstand eines Transfers, sondern wird so dargestellt, als habe der Erwerber es stets innegehabt. Eine derartige Fiktion ist nur sinnvoll, wenn es den Erwerb als solchen ursprünglich gar nicht geben kann oder darf, weil er undenkbar oder zumindest ist. Diese Schranken werden umgangen, indem der Erwerber als Inhaber eines ihm längst gehörenden Rechts präsentiert wird.
Welche Schranke ist es aber, die mit der gerichtlichen Abtretung umgangen werden sollen? Bei der Manzipation lässt sich die Funktion des Rituals der Liste der res mancipi genannten Gegenstände entnehmen, für die das Geschäft geschaffen ist. Es sind die Grundbestandteile des bäuerlichen Vermögens, die in der Familie gehalten werden sollen. Einen vergleichbaren Anhalt zur Bestimmung der ursprünglichen Aufgabe haben wir bei der in iure cessio nicht. Sie ist überaus abstrakt, nicht auf bestimmte Gegenstände beschränkt und völlig vom Erwerbsmodus abgelöst, indem eine etwaige Gegenleistung des Erwerbers weder ausdrücklich noch auch nur andeutungsweise Erwähnung findet.
Die Rekonstruktion der Entstehung des Instituts ist mühsam und muss beim zeitlichen Verhältnis zur Manzipation ihren Ausgang nehmen: Beide Geschäfte gelten als im Zwölftafelgesetz anerkannt, dessen Erlass traditionell in das Jahr 450 v. Chr. datiert wird. Aber welches ist älter? Hier gibt wieder die Begrenzung des Anwendungsbereichs der Manzipation den entscheidenden Hinweis: Hätte es die gerichtliche Abtretung schon vorher gegeben, hätte mit ihr bereits ein Instrument zur Verfügung gestanden, um das Verbot der Veräußerung von res mancipi zu umgehen. Die Manzipation hätte allenfalls noch dazu dienen können, den Weg zum Magistrat zu ersparen. Zum einen ist sie aber durch das Erfordernis der Hinzuziehung zahlreicher Beteiligter ihrerseits ziemlich aufwändig. Zum anderen hätte es nähergelegen, sie als kleine Schwester der in iure cessio ebenso wie diese abstrakt zu fassen, für alle Arten von Gegenständen zu öffnen und auf die Nennung eines Preises als Gegenleistung zu verzichten. Die größere Spezifität der mancipatio verrät diese als das früheres Konstrukt. Sie erscheint im Zwölftafelgesetz zudem auch schon in einer Abwandlung als Testament, was ein deutlich höheres Alter als das Gesetz selbst voraussetzt.
Ist die in iure cessio erst nach der Manzipation geschaffen worden, kann sie nicht mehr dazu gedient haben, res mancipi fungibel zu machen. Und bei den übrigen Sachen gab es von vornherein keinen Bedarf für ein Umgehungsgeschäft, weil sie, wie die Manzipation erkennen lässt, seit jeher veräußerlich waren. Einen neuen Bereich für den Transfer eröffnet die gerichtliche Abtretung bloß bei Rechten und Gesamtheiten von Sachen und Rechten. Nur sie erlaubt es insbesondere, einen Nießbrauch zu bestellen, also das unübertragbare Recht zur Nutzung einer Sache, das spätestens mit dem Tod des Berechtigten erlischt. Hier liegt denn auch einer der Schwerpunkte in den Darstellungen der in iure cessio. Der Nießbrauch ist aber sicherlich deutlich jünger als das Zwölftafelgesetz. Er ist ein typisches Instrument für die Regelung einer Rechtsnachfolge von Todes wegen, die zur Zeit des Zwölftafelgesetzes noch in Kinderschuhen steckte.
Ein weiterer Fokus in den Abhandlungen über die gerichtliche Abtretung liegt auf der Erbschaft. Als Gesamtheit von Sachen und Rechten kann sie nur durch in iure cessio übertragen werden, und dies auch nur durch einen gesetzlichen Erben, der seinerseits nicht zu den Hauserben des Erblassers gehörte. Zur Übertragung befugt sind also die agnatischen, nämlich im Mannesstamm mit Erblasser Verwandten, die nicht zu seinen Hausverband gehören. Treten sie die Erbschaft vor deren Annahme ab, bewirken sie damit, dass sie erst gar nicht in die Erbenstellung geraten, sondern diese von vornherein dem Erwerber zufällt. So vermeidet der gesetzliche Erbe insbesondere eine Haftung gegenüber Erbschaftsgläubigern, gegen die er sich sonst mühsam beim Erwerber versichern müsste. Mit der in iure cessio hat er ein Mittel zur Veräußerung der Erbschaft parat, das ihm erspart, sich überhaupt erst in die Rechtsnachfolge einmischen zu müssen. Dass man ein vergleichbares Privileg nicht auch den Hauserben eröffnet hat, hängt damit zusammen, dass diese dem Erblasser eng verbunden sind, weshalb die Erbenstellung für sie lange Zeit sogar völlig unvermeidlich und noch nicht einmal eine Ausschlagung möglich war. Ähnlich verhält es sich bei einem Testamentserben, der die Erbschaft zwar ablehnen kann, aber dem Erblasser wegen der Erbeinsetzung doch zu sehr verpflichtet ist, als dass man ihm die Veräußerung erleichtern dürfte.
Zielte die in iure cessio wahrscheinlich auf die Veräußerung der Erbenstellung für Verwandte mit gelockerter Bindung an den Erblasser, muss sie der Umgehung einer Rechtsnachfolge gedient haben, die ursprünglich für beide Seiten zwingend war: Bis zur Umwandlung der Manzipation in ein Testament war es einem Erblasser verwehrt, über das Schicksal seines Vermögens nach seinem Tode zu entscheiden; und auch ein Erbe konnte sich der Erbenstellung ursprünglich nicht entziehen, ohne völlig auf sie zu verzichten. Im Interesse der Familie war das Vermögen für beide Seiten vinkuliert. Bei der Umgehung dieser Beschränkungen fügen sich Manzipation und gerichtliche Abtretung in eine kontinuierliche Entwicklung ein und gehen Hand in Hand: Die Manzipation hat nicht nur in der abgeleiteten Form des Testaments, sondern schon in ihrer ursprünglichen Gestalt einen Bezug auf die Erbfolge, weil sie einem Eigentümer erlaubt, Gegenstände zu veräußern, die vorher nicht veräußert werden durften und damit für die Rechtsnachfolge der gesetzlichen Erben reserviert waren. Die sich im Zwölftafelgesetz bahnbrechende Weiterentwicklung zum Testament ist damit nur eine logische Konsequenz aus der Struktur des Instituts. Kann der Erblasser mit seiner Hilfe aus der gesetzlichen Erbfolge ausbrechen, muss dies aber auch einem Erben erlaubt sein, der die Erbschaft zu Geld machen will. Mit der in iure cessio erhält er die Möglichkeit, eine bislang unveräußerliche Position zu veräußern. Sie ist Pendant und zugleich Nachfolger der mancipatio, weil sie ungleich abstrakter und damit von potentiell unbegrenztem Anwendungsbereich ist. Indem sie die Bindung an die gesetzliche Erbfolge auch für einen Erben auflöst, fördert sie ebenso wie die Manzipation die Herausbildung individualisierter Eigentumsverhältnisse.