Teilen als Alternative – zu was? Teil II
Ambivalenzen der Sharing Economy am Beispiel des Homesharings
Familienkutsche und Eigenheim oder Carsharing und Homesharing
Die Sharing Economy ist heute ein sehr vielfältiges Feld und dennoch lässt sich eine Grundformel der vielen verschiedenen Praktiken innerhalb der Sharing Economies finden: ‚Teilen statt Besitzen‘. Projekte der Sharing Economy treten an mit einer ökologischen sowie sozialen Kritik am sozial ausschließenden Charakter des Privateigentums.
Die Hoffnung ist hier: Durch das Teilen der Dinge kommt es zur Schonung von Ressourcen sowie zur Stärkung des sozialen Zusammenhalts. Teil 1 dieses Blogs legte eine Differenzierung dieser Praktiken des Teilens anhand der Eigentumsformen dar. Das hilft, nicht zu romantisieren, wenn wir vom Teilen sprechen und hier auch den Blick zu weiten für Ambivalenzen bei der Nutzung. Henning weist in diesem Zusammenhang auch auf die ökologischen Rebound-Effekte von geteilten Autos hin: Junge Menschen, die sich noch kein Auto leisten können, greifen auf ‚free-floating Modelle‘ des Carsharings zurück, anstatt ihren Alltag mit Bus und Bahn zu bewältigen. Dies ist eine folgenschwere These für die in die Sharing Economies gesetzten Hoffnungen. Juliet Schor, eine wichtige Forscherin im Feld, erkennt nach 10 Jahren Felderfahrung, dass sich die Diagnosen über die Sharing Economy in zwei Lager teilen – Befürworter:innen und Kritiker:innen. Zukünftige Untersuchungen sollten diese dichotomische Perspektive versuchen zu vermeiden, indem sie das Feld der Sharing Economies durch eine Multiplattformanalyse erforschen (Schor 2020). In diesem Sinne ist auch die Frage zu verstehen, die ich in diesem zweiten Teil stelle: Lässt sich beim Gegenstand Wohnraum von einem ähnlich widersprüchlichen Verhältnis von Versprechen und Verwirklichung der Sharing Economy sprechen?
Die eigenen vier Wände für eine Nacht mit Fremden teilen
Zugrunde liegt beim Carsharing die Vorstellung, dass Autofahren und damit auch das Teilen Geld kostet. Anders sieht dies im Bereich Gastfreundschaftsplattformen aus. Hier unterscheidet sich die Praxis des Übernachtens maßgeblich dadurch, ob sie umsonst ist oder ob innerhalb eines Abos oder pro Übernachtung Geld für sie bezahlt wird. Und es gibt noch einen zweiten strukturellen Unterschied zum Carsharing. Während das Auto nacheinander genutzt wird, bietet das Homesharing auch die Möglichkeit des gleichzeitigen Teilens des Gegenstandes Wohnung. Natürlich lassen sich auch andere Nutzungsweisen des geteilten Wohnraums in der Sharing Economy aufzeigen: so z.B. die Kurzzeituntervermietung der gesamten Wohnung, wenn die Besitzenden im Urlaub sind oder die stark umstrittene Kurzzeituntervermietung einer besessenen Wohnung, ohne dass die Besitzenden diese selbst bewohnen. Homesharing soll hier allerdings das gleichzeitige Teilen der Wohnung bedeuten. Die Wohnung ist dann im Besitz einer Person, welche andere an einer Nutzung für kurze Zeit teilhaben lässt. Die Vernetzung von Host und Gast geschieht dabei über digitale Plattformen.
Diese Plattformen existieren auf verschiedenste Weise: Manche wie Hospitality Club, BeWelcome oder Couchers bauen auf der Kooperation der Community auf und sind spendenfinanziert. Sie können auch an andere soziale Netzwerke gekoppelt sein wie die Facebook-Seite Host a Sister – Paradebeispiel einer gewinnorientierten Plattform. Zwar sind die Nutzung und Vernetzung kostenlos, doch das Einspeisen der Daten in Facebook generiert Profite für Meta. Die Anbindung an soziale Medien hat den Vorteil, eine große Reichweite für die Praxis zu generieren. Die Plattformen können sich aber auch über monatliche Gebühren (Abonnement) ihrer Nutzer:innen finanzieren, wie Couchsurfing es 2020 eingeführt hat. Wenn nicht die Nutzung der Plattform, sondern die Übernachtung Geld kostet, können Plattformen auch Transaktionsgebühren erheben und sich darüber finanzieren. Das bekannteste Beispiel ist AirBnB. So kommt es hinsichtlich der beiden letzteren zu dem paradoxalen Umstand, dass Gastgeber:innen bei AirBnB viel verdienen, indem sie ihre Wohnung teilen, während bei Couchsurfing Gastgeber:innen zahlen müssen, um ihre Wohnung mit anderen teilen zu können.
Mehr noch als die ökonomische Struktur der Plattformen ähnelt sich die Praxis der Nutzer:innen. Es gibt Hosts, die ihren Wohnbereich für kurze Aufenthalte zum Teilen anbieten und Gäste, die dort bei Fremden für einige Nächte wohnen. Eine Hoffnung, die mit der Praxis des Homesharings einhergeht, ist es, im Alltag – der durch Einsamkeit und Vereinzelung geprägt ist – bedeutsame Begegnungen zu schaffen (Farmaki/Stergiou 2019). Die gemeinschaftliche Nutzung der eigenen vier Wände benötigt dabei ein gegenseitiges Vertrauen (Botsman/Rogers 2011). Im Homesharing begegnet man Fremden wie Freund:innen – ein gemeinschaftliches, soziales Verhältnis, welches anderswo in der Gesellschaft vermisst wird. Dieser Wunsch der Akteure nach Gemeinschaft im privaten Wohnraum mit Fremden ist ein spannender Befund für die weitere soziologische Auseinandersetzung. Schor und Kolleg:innen sehen, dass der private Haushalt eine immer größere Rolle spielt. Aufgefallen ist ihnen hierzu in ihren Interviews ein oftmals nostalgischer Rückgriff auf ein, wie sie es benennen, ‚domestic imaginary‘: eine Häuslichkeit, die dem marktvermittelten, ausbeuterischen globalen Lieferketten und den entfremdeten Sozialbeziehungen entgegensteht. Demgegenüber sollen Interaktionen innerhalb der Sharing Economy eher wie in einer Familie ablaufen, um so bedeutsame Begegnungen im Alltag zu schaffen.
Die Gemeinschaft schlägt zurück: soziale Schließung und Ungleichheit im Feld
Das neue Teilen in den quasi-familiären Strukturen will auch eine Alternative bieten für die mit den Eigentumsverhältnissen assoziierte Privatheit, die den Ausschluss anderer mit sich zieht. Hat sich dieser Anspruch verwirklicht?
Zum damals kostenfreien Couchsurfing urteilte Jun-E Tan (2013), dass das Vertrauen, welches für die Übernachtung bei Fremden aufgebracht werden muss, an eine ‚Szene‘ gebunden ist. Der Wunsch der Akteure nach wahren Begegnungen richtet sich also nicht an alle, sondern nur an ‚Insider‘. Diese Community stiftet sich durch performative Erzeugung eines ‚Kosmopolitismus‘ – also durch Eigenschaften, die Offenheit, Mobilität, kulturelle Versiertheit und nicht zuletzt Inklusion demonstrieren. Zu sehen ist dies auch in den mühevoll ausgefüllten Profilen der Plattform, die darstellen, welche Sprachen man spricht, welche Länder man besucht und welche Bücher man gelesen hat, oder was einem sonst unter ‚Lehren, lernen, teilen‘ einfällt. Diesen Kosmopolitismus deutet Tan als subkulturelles Kapital.
Beim Homesharing via AirBnB hingegen ist die Praxis nicht nur über Vertrauen, sondern über Ansprechpartner:innen der Plattform und vor allem über Geld vermittelt. Zu erwarten wäre also, dass der Mechanismus der ‚sozialen Schließung‘, der durch das Anrufen einer Gemeinschaft entsteht, bei AirBnB weniger stark ausgeprägt ist. Grob betrachtet lässt sich dies bestätigen. Menschen, die Homesharing via AirBnB nutzen, bilden keine Community, sondern breite Teile der Gesellschaft nutzen diese Plattform und haben scheinbar keine Vertrauensprobleme, ihren Urlaub nicht über den klassischen Urlaubsmarkt vermittelt – etwa in Form von Pauschalreisen – zu organisieren, sondern in Privatwohnungen zu verbringen. Aber auch hier schlägt die Gemeinschaft zu: Hosts entscheiden, anders als Hoteliers, ‚aus dem Bauch heraus‘, wen sie zu sich in die Wohnung holen. Und so zeigt Schor in ihrem Interviewmaterial, dass die Überlegungen offensichtlich scheinen: Wenn ich meine Wohnung für eine kurze Zeit mit Fremden teile, möchte ich mich mit ihnen auch wohl fühlen. Ich lasse also nur in mein Heim, wer auch Freund:in sein könnte. Auch gibt es bei AirBnB keine aufwändige Selbstbeschreibung auf Profilseiten, in aller Regel sieht man nur einen Namen und ein Bild. Diese wenigen Informationen können dann zur Grundlage dafür werden, wer Freund:in sein könnte und wem ein Aufenthalt genehmigt wird. Anders als bei Hotels schlagen Präferenzen anhand dieser sozialen Marker ungehindert durch – eine klar erkennbare Quelle für Diskriminierung. Diese Diskriminierung im Digitalen bleibt nicht folgenlos für die analoge Welt. Der Wunsch nach Gemeinschaft und Authentizität, der sich in den Sharing Economies ausdrückt, wird zwar inklusiv formuliert: Gerade weil die Sharing Economies nicht über den Markt vermittelt sind, können alle mitmachen – auch benachteiligte Gruppen. In der Praxis gibt es allerdings Hinweise darauf, dass sich diese sozialen Ungleichheiten nicht nur wiederholen, sondern sich durch exkludierende Gemeinschaftsmechanismen sogar noch verstärken. ‚Mein Heim, meine Regeln‘ – das wird durch das Sharing nicht überwunden. Nur wird das ‚Heim‘ als Ort quasi-öffentlich, da Besitzer:innen einen Teil ihrer Wohnung zur Nutzung auf die digitale Plattform stellen und Fremde herein lassen. Als Soziologin fragt man hier nach den Akteuren: Wessen Heim und wessen Regeln? Die Antwort ist klar: Host ist, wer das ökonomische Kapital für ein Extrazimmer und das kulturelle Kapital für das notwendige Vertrauen aufwenden kann.
Das Versprechen auf nicht-entfremdete Begegnungen in der Gesellschaft durch die Sharing Economy wird also nur bedingt gehalten. Schor bemerkt in Bezug auf das Verhältnis von Nutzer:in und Plattform, dass diejenigen der ‚Gig-Worker‘, die es sich leisten können auf Gigs zu verzichten, die sie nicht machen wollen, von den Versprechen und Vorteilen der Sharing Economy profitieren können. Wer es sich nicht leisten kann, ist den oben beschriebenen Mechanismen hilflos ausgeliefert (Schor 2020). Für zukünftige Analysen der Praxis des Homesharings stellen sich mir daher die folgenden Fragen: Wen lässt man in sein Heim und warum? Welche Rolle spielt also die Community in den Sharing Economies? Und was passiert innerhalb dieser Praxis mit den Dingbeziehungen? Ist es am Ende noch ‚mein Heim‘, wenn Gäste meine Regeln neu schreiben?